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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Gesichtspunkt. Doch wenn diese Leute rassisch keine Juden sind, stellen sie unter Umständen keinerlei Gefahr dar. Die Frage ist heikel und muss untersucht werden. Daher wird die Wehrmacht ein Gutachten erstellen lassen. Inzwischen verlangt der Generaloberst, dass die Sicherheitspolizei alle Maßnahmen gegen diese Gruppe unterlässt. Natürlich steht es der Sicherheitspolizei frei, ihre eigene Meinung zu dieser Frage zu unterbreiten, die von der Heeresgruppe berücksichtigt werden wird. Ich denke, sie wird die Angelegenheit an General Köstring delegieren. Schließlich betrifft das ein Gebiet, das zur Selbstverwaltung vorgesehen ist.« – »Jawohl, Herr Oberst. Ich habe es notiert und werde Ihnen einen Bericht schicken.« – »Danke. Ich wäre Ihnen auch verbunden, wenn Sie Oberführer Bierkamp bäten, uns schriftlich zu bestätigen, dass die Sicherheitspolizei ohne Entscheidung der Wehrmacht keine Aktion durchführen wird.«
    Ich rief Obersturmbannführer Hermann an, den Nachfolger von Dr. Müller, der in der Woche zuvor abgereist war, und erklärte ihm die Angelegenheit. Bierkamps Ankunft werde zur Stunde erwartet, erwiderte er und forderte michauf, zum Kommando zu kommen. Bierkamp war bereits auf dem Laufenden: »Das ist absolut inakzeptabel!«, wetterte er. »Damit überschreitet die Wehrmacht wirklich ihre Kompetenzen. Die Juden zu beschützen ist ein direkter Verstoß gegen den Führerwillen.« – »Mit Verlaub, Oberführer, ich meine verstanden zu haben, dass die Wehrmacht nicht davon überzeugt ist, dass diese Leute als Juden anzusehen sind. Wenn sich beweisen lässt, dass sie es sind, dürfte die Heeresgruppe keine Einwände dagegen haben, dass die Sipo die notwendigen Maßnahmen ergreift.« Bierkamp zuckte die Achseln: »Sie sind naiv, Hauptsturmführer. Die Wehrmacht wird das beweisen, was sie beweisen möchte. Das ist nur ein weiterer Vorwand, um die Arbeit der Sicherheitspolizei zu behindern.« – »Entschuldigen Sie«, mischte sich Hermann ein, ein Mann mit feinen Gesichtszügen, der ernst, aber auch ein wenig verträumt aussah, »hat es schon ähnliche Fälle gegeben?« – »Meines Wissens nur Einzelfälle. Das müsste überprüft werden.« – »Das ist noch nicht alles«, fügte Bierkamp hinzu. »Die Heeresgruppe hat mir schriftlich mitgeteilt, laut Schadow hätten wir ein ganzes Dorf dieser Bergjuden bei Mosdok liquidiert. Sie hat mich um eine schriftliche Rechtfertigung gebeten.« Hermann schien nur mühsam zu begreifen. »Stimmt das denn?«, fragte ich. »Hören Sie, wenn Sie glauben, dass ich die Liste unserer Aktionen auswendig kenne … Ich werde Sturmbannführer Persterer fragen, das muss sein Abschnitt sein.« – »Wenn das aber Juden waren«, meinte Hermann, »kann man ihm doch nichts vorwerfen.« – »Sie kennen die Wehrmacht hier noch nicht, Obersturmbannführer. Die lassen keine Gelegenheit aus, uns etwas am Zeug zu flicken.« – »Was hält Brigadeführer Korsemann davon?«, fragte ich vorsichtig. Wieder zuckte Bierkamp die Achseln. »Der Brigadeführer sagt, wir sollen unnötige Reibereien mit der Wehrmacht vermeiden. Das ist jetzt seine fixe Idee.« – »Wir könnten ein Gegengutachten erstellen«,schlug Hermann vor. »Eine gute Idee«, lobte Bierkamp. »Was halten Sie davon, Hauptsturmführer?« – »Die SS verfügt über eine ausführliche Dokumentation zum Thema«, erwiderte ich. »Selbstverständlich können wir, wenn erforderlich, auch unsere eigenen Experten kommen lassen.« Bierkamp schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich nicht täusche, Hauptsturmführer, haben Sie für meinen Vorgänger Kaukasus-Studien betrieben?« – »Jawohl, Oberführer. Aber die betrafen nicht diese Bergjuden im engeren Sinn.« – »Schon, aber Sie sind zumindest mit der Dokumentation eingehend vertraut. Und Ihren Berichten merkt man an, dass Sie sich in der Nationalitätenfrage gut auskennen. Können Sie sich für uns um diese Frage kümmern? Fassen Sie alle Informationen zusammen und setzen Sie unsere Antwort an die Wehrmacht auf. Sie bekommen von mir den dienstlichen Befehl noch schriftlich, zur Vorlage bei der Wehrmacht. Natürlich halten Sie bei jedem Schritt Rücksprache mit mir oder Dr. Leetsch.« – »Zu Befehl, Oberführer. Ich werde mein Möglichstes tun.« – »Gut. Und, Hauptsturmführer?« – »Jawohl, Oberführer?« – »Nicht zu viel Theorie in Ihren Untersuchungen, verstanden? Versuchen Sie, die Interessen der Sipo nicht aus den Augen zu verlieren.« – »Zu Befehl,

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