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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Oberführer.«
    Der Gruppenstab hatte alle Ergebnisse unserer Recherchen in Woroschilowsk archiviert. Was ich dort vorfand, stellte ich zu einem kurzen Bericht für Bierkamp und Leetsch zusammen: Die Ergebnisse waren mager. Laut einer Broschüre des Deutschen Auslandswissenschaftlichen Instituts aus dem Jahr 1941 – Liste der in der UdSSR lebenden Völkerschaften – waren die Bergjuden tatsächlich Juden. Eine jüngere SSBroschüre lieferte noch einige ergänzende Informationen: »Orientalische Mischvölker, aus Indien oder anderen Gebieten stammend, aber jüdischen Ursprungs, sind im 8. Jahrhundert in den Kaukasus gekommen.« Schließlich fand ich ein detaillierteres Gutachten, das von der SS dem Wannsee-Institutin Auftrag gegeben worden war: »Die Juden im Kaukasus sind nicht assimiliert«, behauptete der Text, wobei er neben den russischen Juden auch die Bergjuden einbezog. Die Berg- oder dagestanischen Juden ( Dag-Schufuti ), so der Verfasser, seien genauso wie die Juden Georgiens ( Kartweli Ebraelebi ) etwa um Christi Geburt aus Medien, Palästina oder Babylonien gekommen. Ohne seine Quellen zu nennen, gelangte er zu folgendem Schluss: »Unabhängig von der Richtigkeit der einen oder der anderen Auffassung sind die Juden in ihrer Gesamtheit, als Neuankömmlinge wie als Bergjuden, Fremdkörper in der Region des Kaukasus.« In einer kurzen Vorbemerkung des Amts IV hieß es, dass dieses Gutachten der Einsatzgruppe als Grundlage zur notwendigen Erkennung des Weltanschauungsgegners im Einsatzgebiet zu dienen habe. Als Bierkamp am folgenden Tag wiederkam, legte ich ihm meinen Bericht vor, den er rasch überflog. »Sehr schön, sehr schön. Hier Ihr schriftlicher Befehl zur Vorlage bei der Wehrmacht.« – »Was sagt Sturmbannführer Persterer in Bezug auf das Dorf, das Schadow erwähnt?« – »Er sagt, sie hätten am 20. September in diesem Gebiet tatsächlich einen jüdischen Kolchos liquidiert. Aber er wusste nicht, ob es Bergjuden waren oder nicht. Inzwischen ist einer der Ältesten dieser Juden beim Kommando in Naltschik vorstellig geworden. Ich habe Ihnen ein Protokoll des Gesprächs ausfertigen lassen.« Ich sah das Dokument durch, das er mir gereicht hatte: Der Älteste, ein gewisser Markel Schabajew, hatte sich, mit einer Tscherkesska und einer hohen Astrachanmütze bekleidet, in der Dienststelle eingefunden; auf Russisch hatte er erläutert, dass in Naltschik einige Tausend Taten lebten, ein iranisches Volk, das die Russen zu Unrecht als Gorskije jewrei bezeichneten. »Laut Persterer«, fügte Bierkamp sichtlich verärgert hinzu, »war es auch dieser Schabajew, der sich bei Schadow beschwert hat. Sie sollten sich einmal mit ihm befassen, denke ich.«

Als mich Gilsa zwei Tage später in sein Dienstzimmer bestellte, machte er einen sehr beschäftigten Eindruck. »Was ist denn hier los, Herr Oberst?«, fragte ich ihn. Er zeigte auf eine Linie auf seiner großen Landkarte: »Die Panzer des Generalobersten von Mackensen kommen nicht mehr voran. Der sowjetische Widerstand hat sich vor Ordshonikidse versteift, und dort schneit es bereits. Trotz allem sind sie nur noch sieben Kilometer von der Stadt entfernt.« Seine Augen folgten der langen blauen Linie, die erst in Windungen verlief, dann anstieg und sich im Sand der Kalmückensteppe verlor. »Auch in Stalingrad sitzen wir fest. Unsere Soldaten sind am Ende ihrer Kräfte. Wenn das OKH uns nicht bald Verstärkung schickt, müssen wir hier überwintern.« Ich erwiderte nichts, woraufhin er das Thema wechselte. »Haben Sie sich mit dem Problem dieser Bergjuden befassen können?« Ich erläuterte ihm, dass sie nach unseren Informationen als Juden zu betrachten seien. »Unsere Experten scheinen gegenteiliger Ansicht zu sein«, erwiderte er. »Dr. Bräutigam ebenfalls. General Köstring hat für morgen in Woroschilowsk eine Besprechung zu diesem Thema angesetzt; er legt Wert darauf, dass SS und Sipo vertreten sind.« – »Sehr schön. Ich werde den Oberführer davon in Kenntnis setzen.« Ich telefonierte mit Bierkamp, der mich aufforderte, zu dieser Besprechung zu kommen; auch er wollte an dem Treffen teilnehmen. Ich fuhr mit von Gilsa nach Woroschilowsk. Der Himmel war bedeckt, grau, es war aber trocken, die Gipfel der Vulkane verschwanden in wild tobenden, bizarren Wolkenwirbeln. Von Gilsa war niedergeschlagen und hing seinen pessimistischen Gedanken vom Vortag nach. Ein weiterer Angriff war gerade gescheitert. »Die Front wird sich nicht mehr bewegen.« Auch in

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