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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Hinblick auf Stalingrad zeigte er sich sehr beunruhigt: »Unsere Flanken sind extrem verwundbar. Die Truppen der Verbündeten sind wirklich nur zweite Wahl, und die Korsettstangen helfen auch nicht sonderlich.Sollten die Sowjets zu einer Großoffensive antreten, würden sie genau dort durchbrechen. Dann geriete die 6. Armee rasch in eine äußerst heikle Lage.« – »Sie glauben doch nicht, dass die Russen noch genügend Reserven für eine Offensive haben? Ihre Verluste in Stalingrad sind gewaltig, und sie konzentrieren dort alle verfügbaren Kräfte, nur um die Stadt zu halten.« – »Niemand weiß, auf welchem Stand die sowjetischen Reserven wirklich sind«, erwiderte er. »Seit Beginn des Krieges unterschätzen wir sie. Warum sollten wir sie nicht auch hier unterschätzt haben?«
    Die Besprechung fand in einem Sitzungsraum des Stabes der Heeresgruppe statt. Köstring wurde von seinem Adjutanten Hans von Bittenfeld und zwei Offizieren aus dem Stab des Berücks begleitet. Außerdem waren Bräutigam und ein zur Heeresgruppe abkommandierter Abwehroffizier anwesend. Bierkamp hatte Leetsch und Korsemanns Adjutanten mitgebracht. Köstring eröffnete die Sitzung und erinnerte an die Grundsätze der Militärverwaltung im Kaukasus und an das Prinzip der Selbstverwaltung: »Die Völker, die uns als Befreier empfangen haben und unsere wohlwollende Aufsicht akzeptieren, wissen sehr genau, wer ihre Feinde sind«, schloss er langsam und hintergründig. »Daher sollten wir lernen, ihnen zuzuhören.« – »Aus der Sicht der Abwehr«, erläuterte von Gilsa, »geht es dabei allein um die Sicherheit der rückwärtigen Gebiete. Wenn diese Bergjuden Unruhe stiften, Saboteure verstecken oder Partisanen helfen, müssen sie wie jede feindliche Gruppe behandelt werden. Doch wenn sie sich ruhig verhalten, gibt es keinen Grund, die anderen Stämme durch pauschale Strafaktionen zu provozieren.« – »Ich für meinen Teil denke«, sagte Bräutigam mit seiner etwas näselnden Stimme, »dass wir die Beziehungen der kaukasischen Völker untereinander in ihrer Gesamtheit berücksichtigen müssen. Betrachten die Gebirgsstämme diese Bergjuden als ihresgleichen, oder lehnen sie sie als Fremdkörperab? Der Umstand, dass Herr Schadow sich so nachdrücklich für sie eingesetzt hat, spricht schon an sich zu ihren Gunsten.« – »Herr Schadow könnte – sagen wir – politische Gründe haben, die wir nicht verstehen«, meinte Bierkamp. »Ich bin mit den Prämissen von Dr. Bräutigam einverstanden, auch wenn ich die Schlussfolgerung, die er daraus zieht, nicht akzeptieren kann.« Er las Auszüge aus meinem Bericht vor, wobei er sich auf die Auffassung des Wannsee-Instituts konzentrierte. »Alle Berichte unserer Kommandos im Operationsgebiet der Heeresgruppe A«, fügte er hinzu, »scheinen das zu bestätigen. Diese Berichte zeigen uns, dass der Hass auf die Juden allgemein verbreitet ist. Alle Maßnahmen, die wir gegen sie getroffen haben – vom Tragen des gelben Sterns bis zu härteren Aktionen –, sind in der Bevölkerung auf volles Verständnis und sogar Beifall gestoßen. Einige wichtige Vertreter der Einheimischen finden unsere Aktionen gegen die Juden übrigens unzureichend und verlangen entschiedenere Maßnahmen.« – »Sie haben absolut Recht, was die erst kürzlich zugezogenen russischen Juden angeht«, erwiderte Bräutigam. »Aber wir haben nicht den Eindruck, dass diese Haltung sich auch auf die so genannten Bergjuden erstreckt, die hier schon mindestens einige Jahrhunderte lang leben.« Er wandte sich an Köstring: »Ich habe hier die Kopie eines Berichts, den Professor Eiler für das Auswärtige Amt angefertigt hat. Danach sind die Bergjuden kaukasischer, iranischer und afghanischer Herkunft, aber keine Juden, selbst wenn sie die mosaische Religion übernommen haben.« – »Entschuldigen Sie«, mischte sich Noeth ein, der der Heeresgruppe zugewiesene Abwehroffizier, »aber woher haben sie dann die jüdische Religion?« – »Das ist nicht ganz klar«, antwortete Bräutigam, wobei er mit seinem Bleistift auf den Tisch klopfte. »Vielleicht von den allbekannten Chasaren, die im 8. Jahrhundert zum Judaismus übergetreten sind.« – »Könnten es nicht viel eher die Bergjuden sein, die die Chasarenzum Übertritt bewogen haben?«, mutmaßte Eckhardt, Korsemanns Adjutant. Bräutigam hob die Arme: »Genau das müssen wir untersuchen.« Abermals erhob sich Köstrings Stimme, träge, intelligent und tief: »Entschuldigen Sie, aber hatten

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