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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Vorkommando vorausgeschickt, um für Unterkünfte zu sorgen. Die Stadt war so schnell gefallen, dass es gelungen war, viele bolschewistische Funktionäre und andere Verdächtige festzunehmen; neben den vielen Juden, aus Russland gekommenen Verwaltungsleuten, war der Anteil der Einheimischen hoch. Ich erinnerte Persterer daran, dass die Wehrmacht ein gutes Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung wollte: Es sei geplant, in Bälde ein Autonomes Gebiet Kabardinisch-Balkarien zu bilden, daher dürfe man die guten Beziehungen auf keinen Fall beeinträchtigen. In Naltschik suchte ich die Ortskommandantur auf, mit deren Einrichtung man noch beschäftigt war. Die Luftwaffe hatte die Stadt bombardiert, daher rauchten noch viele Haus- und Gebäuderuinen im Regen. Dort stieß ich wieder auf Voss, der in einem leeren Zimmer Bücherstapel sichtete; offenbar war er begeistert über seine Funde. »Sehen Sie sich das an«, sagte er und reichte mir ein altes französisches Buch. Ich betrachtete die Titelseite: Von den Völkern des Kaukasus und den Ländern nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres im 10. Jahrhundert oder Die Reise des Abu-el-Kassim , 1828 in Paris von einem gewissen Constantin Mouradgea d’Ohsson verlegt. Mit anerkennender Miene gab ich es ihm zurück: »Haben Sie viele von der Sorte gefunden?« – »Nicht wenige. Zwar hat eine Bombe die Bibliothek getroffen, aber nicht allzu viel Schaden angerichtet. Dafür wollten Ihre Kameraden einen Teil der Sammlungen für die SS beschlagnahmen. Ich habe sie gefragt, was sie interessiert, aber da sie keinen Experten haben, konnten sie nicht so recht Auskunft geben. Ich habe ihnen das Regal mit Werken zurmarxistischen Nationalökonomie vorgeschlagen. Sie haben geantwortet, sie müssten in Berlin nachfragen. Bis dahin bin ich fertig.« Lachend erwiderte ich: »Dann wäre es ja meine Aufgabe, Ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.« – »Vielleicht. Aber das tun Sie ja nicht.« Ich berichtete ihm von dem Zusammenstoß mit Turek, was er urkomisch fand: »Sie wollten sich meinetwegen duellieren? Sie sind unverbesserlich, Aue. Vollkommen absurd.« – »Ich wollte mich nicht Ihretwegen duellieren: Mich hat er beleidigt.« – »Und Sie sagen, Dr. Hohenegg war bereit, für Sie den Sekundanten zu spielen?« – »Etwas widerwillig.« – »Das überrascht mich. Ich hielt ihn für einen intelligenten Menschen.« Ich fand Vossens Haltung etwas kränkend; er sah es mir wohl an meiner verstimmten Miene an, denn er brach in Lachen aus: »Machen Sie nicht so ein Gesicht! Sagen Sie sich, dass die Flegel und Ignoranten schon bestraft genug sind.«
    Ich konnte den Abend nicht in Naltschik verbringen, sondern musste nach Pjatigorsk zurück, um Bericht zu erstatten. Am nächsten Tag befahl Gilsa mich zu sich. »Herr Hauptsturmführer, wir haben ein kleines Problem in Naltschik, das auch die Sicherheitspolizei betrifft.« Das Sonderkommando habe bereits damit begonnen, in der Nähe der Pferderennbahn Juden zu erschießen: russische Juden, meist Parteimitglieder oder Funktionäre, aber auch einige einheimische Juden, bei denen es sich offenbar um diese viel genannten »Bergjuden« oder kaukasischen Juden handle. Einer ihrer Ältesten war zu Selim Schadow gegangen, dem kabardinischen Anwalt, den die Militärverwaltung als Chef des künftigen Autonomen Bezirks vorgesehen hatte; dieser hatte seinerseits eine Audienz bei Generaloberst von Kleist in Kislowodsk erwirkt und diesem erläutert, dass die Gorskije jewrei rassisch keine Juden seien, sondern ein Bergvolk, das zum Judentum übergetreten sei, so wie die Kabardiner zum Islam. »Nach seinen Angaben essen diese Bergjuden wie dieanderen Bergvölker, kleiden sich wie sie, heiraten wie sie und sprechen weder Hebräisch noch Jiddisch. Sie wohnen seit mehr als hundertfünfzig Jahren in Naltschik und sprechen alle neben ihrer eigenen Sprache auch Kabardinisch und Balkarisch. Schadow hat dem Generaloberst mitgeteilt, die Kabardiner würden nicht hinnehmen, dass man ihre kaukasischen Brüder tötet. Sie müssten von allen Strafaktionen und selbst dem Tragen des gelben Sterns verschont werden.« – »Und was sagt der Generaloberst dazu?« – »Wie Sie wissen, verfolgt die Wehrmacht hier eine Politik, die darauf abzielt, gute Beziehungen zu den antibolschewistischen Minderheiten herzustellen. Diese guten Beziehungen dürfen nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Natürlich ist auch die Sicherheit der Truppe ein entscheidender

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