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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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denHauptsturmführer reden.« Ich fuhr fort: »Schädelhöhe: Kalmücken 62, Georgier 67,9, Bergjuden 67,9, Armenier 71,1. Gesichtsindex: Georgier 86,5, Kalmücken 87, Armenier 87,7 und Bergjuden 89. Schließlich der Nasenindex: Die Bergjuden sind mit 62,4 ganz unten auf der Skala und die Kalmücken mit 75,3 ganz oben, eine beträchtliche Streuung also. Die Georgier und die Armenier liegen zwischen den beiden.« – »Was bedeutet das Ganze?«, fragte der Oberst vom AOK. »Ich verstehe das nicht.« – »Das bedeutet«, erläuterte Bräutigam, der ein paar Zahlen hingekritzelt hatte und sie jetzt im Kopf überschlug, »dass die Bergjuden, wenn man von der Kopfform als Anhaltspunkt für höher oder niedriger stehende Rassen ausgeht, den reinsten Typus der kaukasischen Völker darstellen.« – »Genau das meint auch Erckert«, sagte ich. »Aber dieser Ansatz wird heute natürlich kaum noch verwendet, wenn er auch nicht vollständig widerlegt ist. Die Wissenschaft hat einige Fortschritte erzielt.« Ich warf einen raschen Blick auf Bierkamp: Er betrachtete mich missbilligend und klopfte mit seinem Bleistift auf den Tisch. Mit einem knappen Fingerzeig bedeutete er mir fortzufahren. Ich vertiefte mich wieder in meine Dokumente: »Die kulturelle Anthropologie liefert eine Fülle von Daten. Die Zeit reicht nicht aus, um sie alle darzulegen. Zumeist deuten sie aber darauf hin, dass die Bergjuden die Sitten der Bergvölker vollständig übernommen haben, einschließlich des Kanly oder Ischkil , der Blutrache. Wir wissen, dass große tatische Krieger auf der Seite des Imam Schamil gegen die Russen gekämpft haben. Außerdem lebten die Bergjuden vor der russischen Besiedlung vorwiegend von der Landwirtschaft, sie bauten Wein, Reis, Tabak und Getreide an.« – »Das sieht nicht nach jüdischem Verhalten aus«, merkte Bräutigam an. »Juden scheuen schwere Arbeiten wie den Ackerbau.« – »Gewiss, Herr Doktor. Später, unter russischer Herrschaft, haben die wirtschaftlichen Verhältnisse aus ihnen allerdingsHandwerker gemacht – Gerber und Goldschmiede, Büchsenmacher und Teppichknüpfer; aber auch Händler. Doch das ist eine jüngere Entwicklung, und einige Bergjuden sind Bauern geblieben.« – »Wie die, die bei Mosdok getötet wurden, nicht wahr?«, brachte Köstring in Erinnerung. »Wir haben die Angelegenheit nie aufgeklärt.« Bierkamps Blick verdüsterte sich. Ich fuhr fort: »Dafür ist der Umstand ziemlich überzeugend, dass sich während der Kaukasuskriege, von den wenigen Rebellen abgesehen, die sich Schamil anschlossen, die meisten Bergjuden aus Dagestan für die russische Seite entschieden, vielleicht wegen der moslemischen Verfolgungen. Nach dem Sieg haben die zaristischen Behörden sie zur Belohnung rechtlich mit den anderen kaukasischen Stämmen gleichgestellt und ihnen den Zugang zu behördlichen Anstellungen eröffnet. Das erinnert natürlich an das uns bekannte jüdische Schmarotzertum. Es bleibt aber anzumerken, dass die meisten dieser Rechte unter bolschewistischer Herrschaft wieder abgeschafft wurden. Da Kabardino-Balkarien eine Autonome Sowjetrepublik war, wurden in Naltschik alle Posten, die nicht von Russen oder sowjetischen Juden besetzt wurden, an die beiden Titularnationen vergeben; hier waren die Bergjuden praktisch nicht an der Verwaltung beteiligt, von einigen Archivaren und untergeordneten Funktionären abgesehen. Es wäre interessant, die Verhältnisse in Dagestan zu untersuchen.« Ich beendete mein Referat, indem ich einige völkerkundliche Betrachtungen von Weseloh zitierte. »Sie scheinen den unseren nicht zu widersprechen«, grummelte Weintrop. »Nein, Herr Major, sie ergänzen sie.« – »Ganz im Gegenteil«, murmelte Rehrl nachdenklich, »ein Großteil Ihrer Informationen verträgt sich kaum mit der These einer chasarischen oder türkischen Herkunft. Trotzdem denke ich, dass sie haltbar ist. Sogar Ihr Miller …« Köstring unterbrach ihn hüstelnd: »Wir alle sind von der Gelehrsamkeit der SSFachleute sehr beeindruckt«, sagte er salbungsvoll, an Bierkampgewandt, »doch Ihre Schlussfolgerungen scheinen sich von denen der Wehrmacht nicht grundlegend zu unterscheiden, nicht wahr?« Bierkamp wirkte jetzt wütend und unruhig; er biss sich auf die Lippe: »Wie schon gesagt, Herr General, die rein wissenschaftlichen Betrachtungen bleiben sehr abstrakt. Wir müssen sie mit den Beobachtungen verbinden, die uns die Arbeit der Sicherheitspolizei liefert. Erst daraus können wir schließen, dass

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