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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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und verängstigte Soldaten. Ich hätte irgendwo stehen bleiben, mit den Männern sprechen und zurückgehen können, doch ich lief gehorsam hinter Iwan her, als wüsste er, was ich zu tun hatte. Endlich kamen wir wieder aus dieser langen Balka hervor: Abermals lag ein Wohngebiet vor uns; doch die Häuser waren abrasiert, bis auf den Boden niedergebrannt, selbst die Schornsteine waren eingestürzt. Die Straßen waren von zerstörten Panzern und Sturmgeschützen sowjetischer, aber auchdeutscher Bauart blockiert. Dazwischen Pferdekadaver in grotesken Verrenkungen, gelegentlich noch im Geschirr von Karren, die sich wie Strohhalme verflüchtigt hatten; unter dem Schnee zeichneten sich weitere Kadaver ab, auch sie in seltsamen Verrenkungen von der Kälte überrascht, erstarrt bis zum nächsten Tauwetter. Von Zeit zu Zeit begegneten wir einer Streife; es gab auch Kontrollpunkte, wo Feldgendarmen, die ein bisschen besser dran waren als die Soldaten, unsere Papiere genauestens kontrollierten, bevor sie uns in den nächsten Abschnitt ließen. Iwan ging in eine etwas breitere Straße hinein; eine Frau kam uns entgegen, sie war in zwei Mäntel und einen Schal gewickelt und trug einen kleinen, fast leeren Sack auf der Schulter. Ich betrachtete ihr Gesicht: Unmöglich zu sagen, ob sie zwanzig oder fünfzig war. Ein Stück weiter lag eine eingestürzte Brücke am Grund einer tiefen Schlucht; im Osten, in Richtung Fluss, überspannte eine sehr hohe, erstaunlicherweise unversehrte Brücke die Mündung dieser selben Schlucht. Wir mussten hinabsteigen – wobei wir uns an den Trümmern festhielten und die zerborstenen Betonplatten umgingen oder überstiegen – und auf der anderen Seite wieder hinausklettern. Unter dem Schutzdach, das von einer Ecke der eingestürzten Brückenfahrbahn gebildet wurde, hatte sich ein Feldgendarmerieposten eingerichtet. » Chorwaty? «, fragte Iwan sie. »Kroaten?« Ein Feldgendarm gab uns Auskunft; es war nicht mehr weit. Wir betraten ein weiteres Wohngebiet: Überall verlassene Feuerstellungen, rote Warntafeln: ACHTUNG! MINEN!, Reste von Stacheldrahtverhauen, zwischen den Gebäuden Schützengräben, halb voll Schnee; das war einmal ein Frontabschnitt gewesen. Iwan führte mich durch eine Reihe von Gassen, hielt sich dabei wieder dicht an den Mauern; an einer Ecke gab er mir ein Handzeichen: »Wen willst du sehen?« Ich hatte Schwierigkeiten, mich an sein Geduze zu gewöhnen. »Ich weiß nicht. Einen Offizier.« – »Warte.« Er betrat einStück weiter ein Gebäude, aus dem er mit einem Soldaten wieder herauskam, der ihm etwas in der Straße zeigte. Iwan machte mir ein Zeichen, und ich schloss zu ihm auf. Er wies mit dem Arm in Richtung Fluss, von dort kam das abgehackte Geräusch der Granatwerfer und Maschinengewehre: »Da, Krasny Oktjabr. Russkije. « Wir hatten ein hübsches Stück Weg zurückgelegt, befanden wir uns doch in der Nähe einer der letzten Fabriken, die noch teilweise von den Sowjets gehalten wurden, jenseits des Kurgans und des »Tennisschlägers«. Die Gebäude mussten die Gemeinschaftsunterkünfte der Arbeiter gewesen sein. An einer dieser Baracken angekommen, stieg Iwan die drei Stufen der Vortreppe hinauf und wechselte einige Worte mit einem Soldaten der Wache. Der Soldat grüßte, und ich trat in den Flur. Jedes der düsteren Zimmer – die Fenster waren notdürftig mit Brettern vernagelt, mit aufeinandergestapelten Ziegelsteinen ohne Mörtel verschlossen oder mit Decken verhängt – beherbergte eine Gruppe Soldaten. Die meisten schliefen, dicht aneinandergedrängt, manchmal zu mehreren unter einer Decke. Ihr Atem bildete kleine Kondensationswolken. Es herrschte ein unerträglicher Gestank, Ausdünstungen, in denen sich alle Sekrete des menschlichen Körpers mischten, beherrscht vom Urin und dem süßlichen Geruch des Durchfalls. In einem langen Raum, vermutlich dem ehemaligen Speisesaal, drängten sich etliche Männer um einen Ofen. Iwan zeigte auf einen Offizier, der auf einer kleinen Bank saß; wie die anderen trug er auf dem deutschen Feldgrau ein rot-weiß gewürfeltes Ärmelabzeichen. Mehrere seiner Männer kannten Iwan. Sie begannen sich in einem Kauderwelsch aus Ukrainisch und Kroatisch zu unterhalten, das gespickt war mit den vulgärsten Wörtern ( Pitschka, Pisda, Pisdez sagt sich in allen slawischen Sprachen, und man lernt es sehr schnell). Ich ging zu dem Offizier, der aufstand, um mich zu begrüßen. »Sprechen Sie deutsch?«, fragte ich ihn, nachdem ich die Hacken

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