Die Wohlgesinnten
einen Anbau in ein Dampfbad verwandelt, so etwas hatten wir noch nie gesehen, der Besitzer zeigte uns seine Bedienung, und vor allem Moreau entwickelte eine wahre Leidenschaft für diese Erfindung. Am Spätnachmittag, wenn wir vom Skilaufen, Rodeln oder Wandern zurückgekehrt waren, schwitzte er dort eine gute Stunde, allerdings fehlte ihm der Mut, sich draußen im Schnee zu wälzen, wie wir es taten, leider von Kopf bis Fuß in züchtige Badeanzüge gehüllt, worauf unsere Mutter bestand. Sie selbst hatte für das Dampfbad nichts übrig und mied es. Doch waren wir allein im Haus, tagsüber, wenn sie einen Spaziergang in der Stadt machten, oder abends, wenn sie schliefen, dann nahmen wir das kalt gewordene Bad wieder in Besitz und entledigten uns endlich unserer Kleider, und unsere kleinen Körper wurden füreinander zum Spiegel. Wir nisteten uns auch in den langen, leeren Wandschränken ein, die unter dem großen Schrägdach des Chalets eingebaut waren, wo wir nicht stehen konnten, sondern saßen oder lagen, krochenund uns aneinanderschmiegten, Haut an Haut, einer des anderen Sklave und wir beide Herren der Welt.
Am Tage versuchte ich, mich in dieser verwüsteten Stadt wieder meiner zerbrechlichen Basis zu vergewissern; aber das Fieber und die Durchfälle zermürbten mich, entfernten mich von der Wirklichkeit um mich her, so bedrückend und leidvoll sie auch war. Außerdem quälte mich mein linkes Ohr, ein dumpfer drückender Schmerz, direkt unter der Haut, in der Ohrmuschel. Vergeblich wollte ich ihn dadurch lindern, dass ich die Stelle mit dem kleinen Finger rieb. Zerstreut verbrachte ich auf diese Weise lange, eintönige Stunden in meinem Dienstzimmer, in meinen beschmutzten Pelzmantel gehüllt, summte tonlos eine kleine einfallslose Melodie und bemühte mich, die alten verlorenen Wege wiederzufinden. Der Engel öffnete die Tür meines Dienstzimmers und trat ein, er trug die glühende Kohle, die alle Sünden verbrennt; doch statt damit meine Lippen zu berühren, stopfte er sie mir ganz in den Mund; und wenn ich dann auf die Straße hinausging und mit der frischen Luft in Berührung kam, brannte ich bei lebendigem Leib. Ich blieb stehen, lächelte nicht, aber mein Blick, ich weiß es, war ruhig, ja, selbst wenn die Flammen mir die Lider versengten, mir die Nasenlöcher ausbrannten, mir in die Kinnladen drangen und mir die Augen verschleierten. Waren die Brände gelöscht, sah ich überraschende, ungeahnte Dinge. In einer leicht abschüssigen, von zerstörten Personen- und Lastwagen gesäumten Straße erblickte ich einen Mann auf dem Gehsteig, der sich mit einer Hand an einen Laternenpfahl stützte. Es war ein Soldat, schmutzig, unrasiert, in Lumpen gehüllt, die von Schnüren und Nadeln zusammengehalten wurden, sein rechtes Bein war unter dem Knie abgerissen, eine frische, offene Wunde, aus der das Blut in Strömen hervorschoss; der Mann hielt eine Konservendose oder einen Zinnbecher unter den Stumpf und versuchte, das Blut aufzufangen und rasch zutrinken, um nicht zu viel zu verlieren. Er führte diese Bewegungen methodisch und exakt aus, und das Grauen schnürte mir die Kehle zu. Ich bin kein Arzt, sagte ich mir, ich kann nichts tun. Glücklicherweise war das Theater nicht weit entfernt; ich stürzte durch die dunklen überfüllten Keller, die Ratten verscheuchend, die auf den Verwundeten herumliefen: »Ein Arzt! Ich brauche einen Arzt!«, schrie ich. Die Sanitäter blickten mich aus stumpfen, erloschenen Augen an, niemand antwortete. Schließlich fand ich einen Arzt, er saß auf einem Schemel an einem Ofen und trank seinen Tee in langsamen Schlucken. Er brauchte einige Zeit, um auf meine Erregung zu reagieren, er wirkte erschöpft und etwas gereizt wegen meiner Beharrlichkeit, folgte mir aber schließlich. Auf der Straße war der Mann mit dem abgerissenen Bein hingefallen. Er blieb ruhig und gefasst, wurde aber zusehends schwächer. Aus dem Stumpf kam jetzt schäumend eine weißliche Substanz, die sich mit dem Blut vermischte, vielleicht Eiter; auch das andere Bein blutete und schien sich teilweise ablösen zu wollen. Der Arzt kniete sich zu dem Verletzten und begann sich mit kaltblütigen professionellen Gesten um die entsetzlichen Wunden zu kümmern; seine Gelassenheit erfüllte mich mit fassungslosem Staunen, nicht nur, dass er in der Lage war, diese grauenhaften Wundherde zu berühren, er versorgte sie auch ungerührt und ohne Widerwillen; mich machte das krank. Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, warf mir
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