Die Wohlgesinnten
tanzenden blonden Locken, es war Voss, er lächelte. Ich versuchte ihn einzuholen, aber ein Strudel riss uns noch weiter auseinander, und als ich meine Position wieder eingenommen hatte, war er verschwunden. Über mir bildete das Eis eine undurchlässige Wand, doch ich hatte noch ausreichend Luft in der Lunge, ich schwamm sorglos weiter, vorbei an gesunkenen Flusskähnen voller schöner junger Männer, die in Reih und Glied saßen, die Waffe noch in der Hand, während kleine Fische durch ihr von der Strömung bewegtes Haar schlüpften. Dann wurde das Wasser vor mir langsam heller, grüne Lichtsäulen fielen durch Löcher im Eis, bildeten einen Wald und verschmolzen nach und nach miteinander, als die Eisschollen immer weiter auseinanderrückten. Schließlich tauchte ich auf, um Luft zu holen. Ein kleiner Eisblock rammte mich, ich wurde wieder hinuntergedrückt, wälzte mich herum und kam erneut an die Oberfläche. Hier führte der Fluss kaum noch Eis. Flussaufwärts zu meiner Linken trieb ein russisches Fährboot in der Strömung, es lag auf der Seite und brannte langsam aus. Obwohl die Sonne schien, fielen einige leuchtende große Schneeflocken, die sich auflösten, sobald sie das Wasser berührten. Mit den Händen paddelnd, drehte ich mich: Die Stadt, die sich an den Uferhöhen entlangzog, verschwand hinter einem dichten schwarzen Rauchschleier. Über meinem Kopf kreisten Silbermöwen, kreischten, musterten mich erstaunt, vielleicht auch lauernd, dann ließen sie sich auf einem Eisblock nieder; dabei war das Meer noch weit; sollten sie von Astrachan bis hierher gekommen sein? Auch Spatzen flatterten umher und streiften die Wasseroberfläche. Bedächtig schwamm ich auf das linke Ufer zu. Endlich bekam ich Grund unter die Füße und watete aus dem Wasser. Auf dieser Seite bestand der Strand aus feinem Sand, der leicht anstieg und kleine Dünen bildete; dahinter war alles flach. Eigentlich hätteich mich auf der Höhe von Krasnaja Sloboda befinden müssen, aber ich erblickte nichts, keine Geschützbatterien, keine Gräben, kein Dorf, keine Soldaten, niemanden. Einige verkümmerte Bäume zierten die Kuppen der Dünen oder neigten sich zur Wolga hinab, die hinter mir machtvoll dahinströmte; irgendwo sang ein Hänfling; eine Schlange wand sich zwischen meinen Beinen hindurch und verschwand im Sand. Ich kletterte auf die Dünen und blickte mich um: Vor mir erstreckte sich eine fast nackte Steppe, aschfarbene Erde mit einer dünnen Schneedecke, hier und da braunes Gras, kurz und dicht, dazwischen einige Büschel Beifuß; eine Pappelreihe, die offenbar einen Bewässerungskanal säumte, verdeckte im Süden den Horizont; was anderes gab es nicht zu sehen. Ich suchte in der Tasche meiner Uniformjacke und zog mein Zigarettenpäckchen hervor, doch es war durchweicht. Die nasse Kleidung klebte mir auf der Haut, aber mir war nicht kalt, die Luft war mild und lind. Ich spürte einen Anflug von Müdigkeit, sicherlich infolge des Schwimmens: Ich ließ mich auf die Knie fallen und bearbeitete die trockene, noch frostharte Erde mit den Fingern. Schließlich gelang es mir, einige Brocken loszukratzen, die ich mir gierig in den Mund stopfte. Der Geschmack war etwas scharf, mineralisch, doch mit Speichel vermischt, empfand ich diese Erde fast pflanzlich, faserig lebendig, und trotzdem enttäuschend; ich hätte mir gewünscht, sie wäre weich, warm und fett gewesen, wäre in meinem Mund zergangen und ich hätte meinen ganzen Körper hineinwühlen können, hätte in ihr gelegen wie in einem Grab. Im Kaukasus haben die Bergvölker eine merkwürdige Art, Gräber auszuheben: Zunächst schaufeln sie eine senkrechte Grube, die zwei Meter tief ist; dann höhlen sie an einer Seite der Grube auf ganzer Länge eine Nische mit schräger Decke aus; der Tote wird ohne Sarg, in ein weißes Leichentuch gehüllt, seitwärts in diese Vertiefung gelegt, wobei sein Gesicht Mekka zugewandt ist; dann wird dieNische mit einer Ziegelmauer oder, wenn die Familie arm ist, mit Brettern verschlossen. Anschließend wird die Grube zugeschüttet, die überschüssige Erde bildet einen länglichen Grabhügel; doch der Tote ruht nicht unter diesem Hügel, sondern gleich daneben. Sieh an, hatte ich mir gesagt, als ich von dieser Sitte hörte, ein Grab, das mir gefallen könnte, über die grausigen Umstände des Vorgangs herrscht Klarheit, und dann dürfte es bequemer sein, vielleicht intimer. Aber hier ist niemand, der mir beim Graben helfen könnte, und ich habe kein
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