Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
seinen Speichel beim Sprechen; sein Kittel war mit Essensresten befleckt. »Sie sind sehr jung! …«, rief er aus. Ich wandte den Kopf etwas ab und betrachtete die kahle Steppe hinter der Scheibe, dann blickte ich den Mann wieder an. »Gestatten, Hauptsturmführer Dr. Maximilian Aue«, sagte ich mit einer höflichen Kopfneigung. »Ah!«, krächzte er »Ein Doktor! Ein Doktor! Was für ein Doktor?« – »Doktor der Rechte.« – »Ein Anwalt!« Er sprang von seinem Stuhl auf. »Ein Anwalt! Diese ekelhafte, verfluchte Sippschaft! Ihr seid schlimmer als die Juden! Schlimmer als die Wucherer! Schlimmer als die Royalisten! …« – »Ich bin kein Anwalt, mein Herr. Ich bin Verfassungsrechtler und Offizier der Schutzstaffel.« Er beruhigte sich unvermittelt und nahm mit einem Sprung wieder Platz: Seine Beine, zu kurz für den Stuhl, baumelten einige Zentimeter über dem Boden. »Das ist kaum besser …« Er überlegte.»Ich bin auch Doktor, aber … auf einem nützlichen Gebiet. Sardine, ich heiße Sardine, Dr. Sardine.« – »Sehr erfreut, Herr Doktor.« – »Ich noch nicht so recht. Was machen Sie hier?« – »In Ihrem Luftschiff? Ihre Mitarbeiter haben mich heraufgebeten.« – »Gebeten … gebeten … ein großes Wort. Ich meine hier, in dieser Gegend.« – »Nun, ich bin marschiert.« – »Sie sind marschiert … von mir aus! Aber mit welchem Ziel?« – »Ich bin aufs Geratewohl gegangen. Um ehrlich zu sein, ich habe mich ein wenig verlaufen.« Misstrauisch beugte er sich vor, wobei er die Armlehnen seines Stuhls mit beiden Händen umklammerte: »Sind Sie sich dessen sicher? … Hatten Sie nicht vielleicht ein bestimmtes Ziel?!« – »Offen gestanden, nein.« Doch er murmelte unbeirrt: »Gestehen Sie, gestehen Sie … haben Sie nicht etwas gesucht … waren Sie nicht eigens … hinter mir her! Im Auftrag meiner neidischen Konkurrenten! …« Er redete sich in Erregung hinein. »Wie haben Sie denn gerade uns gefunden?« – »Auf dieser Ebene ist Ihr Apparat schon von weitem zu sehen.« Doch er ließ nicht locker: »Sie sind doch ein Agent von Finkelstein …! von Krasschild! diesen neidischen Itzigs … diesen aufgeblasenen Wichten! diesen Kriechern! Speichelleckern! diesen Fälschern von Diplomen und Ergebnissen …« – »Ich habe den Eindruck, Herr Doktor, dass Sie nur selten Zeitung lesen. Sonst wüssten Sie, dass ein Deutscher, und schon gar ein SS-Offizier, höchst selten in Diensten von Juden steht. Ich kenne die Herrschaften nicht, von denen Sie sprechen, doch wenn ich ihnen begegnen würde, wäre es wohl eher meine Pflicht, sie zu verhaften.« – »Ja … ja …«, sagte er und rieb sich die Unterlippe, »gut möglich, in der Tat …« Er suchte in der Tasche seines Kittels und zog einen kleinen Lederbeutel hervor; mit nikotingelben Fingern entnahm er ihm ein wenig Tabak und begann sich eine Zigarette zu drehen. Da er offenbar nicht gewillt war, mir eine anzubieten, griff ich wieder nach meinem eigenen Päckchen:Es war inzwischen getrocknet, und durch Rollen und Klopfen konnte ich eine Zigarette in einen annehmbaren Zustand bringen. Meine Streichhölzer waren allerdings hin; ich sah mich auf dem Tisch um, konnte in dem Durcheinander aber keine entdecken. »Haben Sie Feuer, Herr Doktor?«, fragte ich. »Einen Augenblick, junger Mann, einen Augenblick …« Er drehte seine Zigarette zu Ende, ergriff einen ziemlich großen Zinnwürfel auf dem Tisch, führte seine Zigarette in ein Loch ein und drückte auf einen kleinen Knopf. Dann wartete er. Nach einigen Minuten, die mir ziemlich lang erschienen, ertönte ein leises Ping ; er zog die Zigarette mit glühendem Ende wieder heraus und inhalierte hastig: »Genial, nicht wahr?« – »Sehr. Aber ein bisschen langsam vielleicht.« – »Das liegt am Widerstand, der braucht so lange, um sich aufzuheizen. Geben Sie mir Ihre Zigarette.« Ich reichte sie ihm, und er wiederholte die Prozedur, wobei er Rauch in kleinen Wölkchen ausstieß; dieses Mal erklang das Ping etwas rascher. »Das ist mein einziges Laster …«, murmelte er, »das einzige! Alle anderen … das ist vorbei! Der Alkohol … ein Gift … Die Unzucht … All diese gierigen Weiber! angepinselt! syphilitisch! bereit, uns Männern den Geist auszusaugen … die Seele zu beschneiden! … Ganz zu schweigen von der Gefahr der Fortpflanzung … allgegenwärtig … Egal, wie du es anstellst, dem entgehst du nicht, sie schaffen es immer … grauenhaft! Diese tittenbewehrten Ungeheuer! Zuckend und

Weitere Kostenlose Bücher