Die Wohlgesinnten
Sonne. Ich glaubte einen Gegenstand auf dem Wasserzu erblicken. Hinten im Saal stand vor dem Fenster ein Fernrohr auf einem Stativ. Ich presste ein Auge daran, drehte an der Stellschraube, um das Bild zu fokussieren, und suchte den Fluss; als ich ihn gefunden hatte, folgte ich seinem Lauf, bis ich den Gegenstand entdeckte. Es waren Gestalten in einem Nachen. Ich stellte die Brennweite noch genauer ein. In der Mitte des Bootes saß eine nackte junge Frau, sie hatte Blumen im Haar; vor und hinter ihr paddelten zwei scheußliche Geschöpfe, auch sie von menschlicher Gestalt und nackt. Die Frau hatte langes schwarzes Haar. Mit plötzlichem Herzklopfen versuchte ich ihr Gesicht zu erkennen, hatte aber Mühe, einzelne Züge zu unterscheiden. Aber nach und nach wuchs in mir die Gewissheit: Es war Una, meine Schwester. Wohin fuhr sie? Andere blumengeschmückte Boote folgten ihrem Nachen, das sah nach einem Hochzeitszug aus. Ich musste zu ihr. Aber wie? Ich stürzte aus der Kabine, die Wendeltreppe hinab: In dem Raum mit dem Korb befand sich ein Mann. »Der Doktor?«, keuchte ich. »Wo ist er? Ich muss ihn sehen.« Er bedeutete mir, ihm zu folgen, und brachte mich in das Vorderschiff, wo er mich auf die Brücke führte, auf der sich vor einem riesigen Rundfenster Männer in weißen Kitteln zu schaffen machten. Sardine thronte auf einem erhöhten Sessel vor einem Armaturenbrett. »Was wollen Sie?«, fragte er barsch, als er mich sah. »Herr Doktor … ich muss aussteigen. Es geht um Leben und Tod.« – »Unmöglich!«, schrie er gellend. »Unmöglich! Ich weiß jetzt Bescheid. Sie sind ein Spion! Ein Agent!« Er wandte sich an den Mann, der mich zu ihm geführt hatte. »Nehmen Sie ihn fest! Legen Sie ihn in Eisen!« Der Mann packte mich am Arm; ohne nachzudenken, versetzte ich ihm einen Kinnhaken und sprang zur Tür. Mehrere Männer stürzten sich auf mich, aber die Tür war so schmal, dass sie nicht alle gleichzeitig hindurchkonnten, das hielt sie auf. Drei Stufen auf einmal nehmend, lief ich die Wendeltreppe wieder hinauf undwartete oben auf dem Absatz: Als der erste Kopf, von einer Melone gekrönt, hinter mir erschien, versetzte ich ihm einen Fußtritt, der den Mann nach hinten schleuderte; er stürzte die Stufen hinab und riss seine nach ihm kommenden Kollegen in einem Riesengepolter mit sich. Ich hörte Sardine schreien. Aufs Geratewohl riss ich irgendwelche Türen auf: Es waren Kabinen, ein Kartenraum, ein Speisesaal. Am Ende des Flurs stieß ich auf einen Abstellraum, in dem eine Leiter nach oben führte; die Falltür, an der sie endete, öffnete sich vermutlich zu Reparaturzwecken ins Innere des Rumpfes; hier standen Metallschränke, ich öffnete sie, sie enthielten Fallschirme. Meine Verfolger kamen näher; ich legte einen Fallschirm an und kletterte die Leiter hoch. Die Falltür ließ sich leicht öffnen: Darüber befand sich ein ungeheurer zylindrischer Hohlraum, der durch ein auf kreisförmige Rippen gespanntes Wachstuch gebildet wurde und quer durch den Schiffskörper führte. Verschwommenes Licht sickerte durch den Stoff, außerdem waren in Abständen Glühlampen angebracht; durch die Bullaugen erkannte ich die weichen Formen von Wasserstoffballons. Ich begann mit dem Aufstieg. Der Schacht, der durch ein starkes Gerüst gehalten wurde, mochte gut und gern einige Dutzend Meter lang sein, und ich geriet rasch außer Atem. Ich warf einen Blick an meinen Füßen vorbei in die Tiefe: Die erste Melone tauchte in der Falltür auf, gefolgt von dem Körper eines Mannes. Ich sah, dass er mit einer Pistole hantierte, und setzte meinen Aufstieg fort. Er schoss nicht, sicher befürchtete er, die Ballons zu durchlöchern. Andere Männer folgten ihm; sie stiegen ebenso langsam hoch wie ich. Alle vier Meter war ein offener Treppenabsatz in den Schacht eingelassen, um Gelegenheit zum Verschnaufen zu geben, aber ich konnte nicht innehalten, ich setzte meinen Aufstieg keuchend fort, Sprosse um Sprosse. Ich richtete den Blick nicht nach oben, und mir schien, diese ungeheure Leiter werde niemals enden. Endlichstieß ich mit dem Kopf gegen die Falltür. Unter mir erklangen die metallischen Geräusche der emporkletternden Männer. Ich drehte das Handrad der Luke, stieß sie auf und streckte den Kopf hinaus: Ein kalter Wind schlug mir entgegen. Ich befand mich ganz oben auf dem Rumpf des Luftschiffs, auf einer großen gewölbten Oberfläche, die ziemlich fest erschien. Ich zog mich hinaus und stand auf; leider gab es keine
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