Die Wohlgesinnten
sie waren verschwunden. »He, Jungs, wo seid ihr?«, schrie ich. Ich stellte fest, dass ich selbst von der Kuppe des Kurgans aus den Fluss nicht mehr sehen konnte; der graue Himmel verbarg die Sonne, ich wusste nicht, wie ich mich orientieren sollte; ich hatte mich wie ein Idiot ablenken lassen! Ich musste diese Jungen wiederfinden. Noch einmal ging ich um den Kurgan herum und entdeckte eine Vertiefung: Ich tastete sie ab und entdeckte eine Tür. Ich klopfte, sie tat sich auf, und ich trat ein; vor mir erstreckte sich ein langer Flur, an seinem Ende eine weitere Tür. Wieder klopfte ich, und sie öffnete sich ebenfalls. Sie führte in einen riesigen Saal, sehr hoch, von Öllampen erhellt: Dabei war mir der Kurgan von außen gar nicht so groß erschienen. Im Hintergrund des Saals stand so etwas wie ein mit Teppichen und Kissen bedecktes Himmelbett, darauf saß ein dickbäuchiger Zwerg, in ein Spiel vertieft; daneben stand ein großer dünner Mann mit einem schwarzen Dreieck über einem Auge; eine alte runzlige Frau mit Kopftuch rührte in einem riesigen verzierten Kessel, der ineiner Ecke von der Decke herabhing. Keine Spur von den beiden Kindern. »Guten Tag«, sagte ich höflich. »Haben Sie zufällig zwei Jungen gesehen? Zwillinge«, fügte ich erklärend hinzu. »Ah!«, rief der Zwerg. »Ein Besucher! Kannst du Nardy spielen?« Ich näherte mich dem Himmelbett und sah, dass er Tricktrack spielte, und zwar mit der rechten gegen die linke Hand: Jede warf, wenn sie an der Reihe war, die Würfel und rückte die roten oder weißen Spielsteine vor. Ich sagte: »Eigentlich suche ich meine Schwester. Eine sehr schöne junge Frau mit schwarzem Haar. Sie wurde in einem Nachen mitgenommen.« Ohne sein Spiel zu unterbrechen, blickte der Zwerg den Einäugigen an, dann wandte er sich an mich: »Dieses Mädchen wird hierhergebracht. Mein Bruder und ich werden sie heiraten. Ich hoffe, sie ist wirklich so schön, wie es heißt.« Er machte ein lüsternes Gesicht und schob behände eine Hand in die Hose. »Wenn du ihr Bruder bist, sind wir bald Schwäger. Setz dich und trink Tee.« Dem Spiel zugewandt, setzte ich mich mit gekreuzten Beinen auf ein Kissen; die Alte brachte mir eine Schale heißen Tee, keinen Ersatz, sondern echten Tee, den ich genüsslich trank. »Mir wäre es lieber, wenn Sie sie nicht heiraten würden«, sagte ich schließlich. Der Zwerg setzte das Spiel der einen Hand gegen die andere fort. »Wenn du nicht willst, dass wir sie heiraten, dann spiel doch gegen mich. Niemand will mit mir spielen.« – »Warum nicht?« – »Wegen meiner Bedingungen.« – »Und was sind das für Bedingungen?«, fragte ich freundlich. »Sagen Sie sie mir, ich kenne sie nicht.« – »Wenn ich gewinne, töte ich dich, wenn ich verliere, töte ich dich.« – »Gut, das macht nichts, spielen wir.« Ich schaute mir an, wie er spielte: Das hatte keine Ähnlichkeit mit dem Tricktrack, das ich kannte. Zu Beginn der Partie wurden die Steine, statt zu zweit, dritt und fünft aufgereiht zu werden, ganz an die Enden des Brettes gelegt; und während der Partie konnten sie nicht geschlagen werden, sondern blockierten das Feld, auf dem sie lagen.»Das sind nicht die Tricktrack-Regeln«, wandte ich ein. »Hör mal, Jungchen, du bist hier nicht mehr in München.« – »Ich komme nicht aus München.« – »Also dann, in Berlin. Wir spielen Nardy .« Ich schaute es mir wieder an: Das Prinzip schien nicht schwierig zu sein, aber sicherlich gab es irgendwelche Feinheiten. »Na gut, spielen wir.« Tatsächlich war es komplizierter, als es aussah, doch ich begriff es rasch und gewann die Partie. Der Zwerg stand auf, zog ein langes Messer und sagte: »Gut, ich werde dich töten.« – »Beruhigen Sie sich. Wenn ich verloren hätte, hätten Sie mich töten können, aber ich habe gewonnen, also warum wollen Sie mich töten?« Er dachte nach und setzte sich wieder: »Du hast Recht. Spielen wir noch einmal.« Dieses Mal gewann der Zwerg. »Was sagst du nun? Ich werde dich töten.« – »Gut, ich sage nichts mehr, ich habe verloren, töten Sie mich. Aber finden Sie nicht, dass wir vorher eine dritte Partie spielen sollten, um zu entscheiden, wer von uns gewonnen hat?« – »Du hast Recht.« Wir spielten noch einmal, und ich gewann. »Jetzt müssen Sie mir meine Schwester wiedergeben«, sagte ich. Der Zwerg sprang mit einem Satz auf die Beine, wandte mir den Rücken zu, bückte sich und sandte mir einen gewaltigen Furz ins Gesicht. »Puh, das ist ja
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