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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Möglichkeit, die Luke von außen zu schließen. Infolge des Windes und der Schwankungen des Luftschiffs vermochte ich nur mühsam das Gleichgewicht zu halten. Taumelnd ging ich in Richtung Heck, wobei ich die Gurte des Fallschirms überprüfte. Ein Kopf erschien in der Luke, ich begann zu laufen; die Oberfläche des Schiffskörpers war ein wenig elastisch und federte unter meinen Füßen; ein Schuss ertönte, eine Kugel pfiff an meinem Ohr vorbei; ich stolperte, fiel und rollte, doch statt Halt zu suchen, ließ ich es einfach geschehen. Ich hörte einen weiteren Schuss. Die Neigung wurde immer steiler und steiler, rasch glitt ich hinab, wobei ich versuchte, meine Füße nach vorn zu drehen, dann wurde die Wand fast senkrecht, ich stürzte ins Leere und zappelte mit Armen und Beinen im Wind wie ein Hampelmann. Die braungraue Steppe wuchs mir wie eine Mauer entgegen. Ich war noch nie mit dem Fallschirm abgesprungen, wusste aber, dass ich an einer Leine ziehen musste; mühsam führte ich meine Arme an den Körper, fand den Griff und zog; der Ruck war so heftig, dass mir das Genick weh tat. Jetzt sank ich sehr viel langsamer, mit den Füßen nach unten; ich ergriff die Fangleinen und blickte nach oben; die weiße Krone des Fallschirms füllte den Himmel aus und verdeckte das Luftschiff. Ich hielt nach dem Fluss Ausschau: Er schien einige Kilometer entfernt zu sein. Die Bootsprozession glänzte in der Sonne, und ich überschlug im Kopf, welchen Weg ich zurücklegen musste, um sie zu erreichen. Der Boden näherte sich, und ich streckte etwas beunruhigt die geschlossenenBeine aus. Dann spürte ich einen heftigen Stoß, der mir durch den ganzen Körper fuhr, ich verlor das Gleichgewicht, wurde von dem Fallschirm mitgeschleift, den der Wind forttrug, schaffte es endlich, Halt zu finden und wieder auf die Beine zu kommen. Rasch löste ich die Gurte und ließ den Fallschirm, wo er war, er bauschte sich im Wind und rollte über den sandigen Boden. Ich schaute in den Himmel: Unbeirrbar entfernte sich das Luftschiff. Nach kurzer Orientierung lief ich in Richtung Fluss.
    Das Luftschiff verschwand. Die Steppe schien unmerklich anzusteigen: Meine Beine wurden müde, ich zwang mich aber weiterzugehen. Ich stolperte über Büschel trockenen Grases. Außer Atem erreichte ich den Fluss; doch ich befand mich, wie ich erst jetzt sah, hoch oben auf einem schroffen Steilufer, das den Fluss rund zwanzig Meter überragte; unten floss das Wasser in raschen Strudeln vorbei; unmöglich zu springen, unmöglich auch hinabzuklettern. Ich hätte auf der anderen Seite landen müssen: Dort fiel das fast flache Ufer sanft zum Wasser ab. Flussauf, zu meiner Linken, sah ich den Bootskorso nahen. Girlandengeschmückte Musiker, die der mit Schnitzereien verzierten Gondel meiner Schwester folgten, entlockten ihren Flöten, Saiteninstrumenten und Trommeln eine schrille feierliche Musik. Deutlich erkannte ich meine Schwester; sie saß im Schneidersitz, hochmütig zwischen den beiden rudernden Geschöpfen, und das lange schwarze Haar fiel ihr auf die Brüste. Ich legte die Hände trichterförmig vor den Mund und rief mehrmals ihren Namen. Sie hob den Kopf und sah mich an, hielt, ohne das Gesicht zu verziehen oder etwas zu sagen, den Blick auf mich gerichtet, während die Gondel langsam vorbeizog; völlig außer mir, schrie ich ihren Namen, doch sie reagierte nicht; schließlich wandte sie sich ab. Die Prozession entfernte sich gemessen flussabwärts, während ich verzweifelt zurückblieb. Ich wollte losstürzen, sie verfolgen; aber in diesem Augenblickwurde ich von heftigen Magenkrämpfen gepackt; fieberhaft knöpfte ich meine Hose auf und hockte mich hin; doch anstelle von Scheiße quollen Bienen, Spinnen und Skorpione aus meinem After hervor. Es brannte entsetzlich, aber ich musste sie loswerden; ich presste, die Spinnen und Skorpione liefen auseinander, die Bienen flogen davon, ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz zu schreien. Ich hörte etwas und wandte den Kopf zur Seite: Zwei kleine Jungen, eineiige Zwillinge, betrachteten mich schweigend. Wo zum Teufel kamen die her? Ich stand auf und zog mir die Hose hoch; doch sie hatten sich schon umgedreht und gingen davon. Ich stürzte hinter ihnen her und rief nach ihnen. Aber ich konnte sie nicht einholen. Lange verfolgte ich sie.
    Es gab noch einen Kurgan in der Steppe. Die beiden Jungen kletterten auf der einen Seite hinauf und auf der anderen wieder herunter. Ich lief um ihn herum, aber

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