Die Wohlgesinnten
mit. Ich wollte ihn anprobieren; natürlich war er zu klein, aber die Beschaffenheit des Satins erregte mich. Ich stellte mir die Hand vor, die diesen Handschuh getragen hatte: Dieser Gedanke beunruhigte mich. Ich wollte den Handschuh nicht behalten;nur brauchte ich, um mich seiner zu entledigen, ein anderes Fenster, eines mit einem schmiedeeisernen Gitter, am besten in einem alten Gebäude, es gab in dieser Straße aber nur kleine Geschäfte mit stummen, verschlossenen Schaufensterläden. Kurz vor meinem Hotel fand ich schließlich das passende Fenster. Auch seine Läden waren geschlossen; andächtig legte ich den Handschuh in die Mitte des Simses, als wäre er eine Opfergabe. Zwei Tage später waren die Fensterläden noch immer geschlossen, und der Handschuh blieb dort, ein dunkles, verstohlenes Zeichen, das mir zweifellos etwas mitteilen wollte, aber was?
Thomas musste etwas von meinem Gemütszustand ahnen, denn als die ersten Tage so verstrichen waren, rief ich ihn nicht mehr an, ging nicht mehr mit ihm zum Abendessen aus; um ehrlich zu sein, irrte ich lieber in der Stadt umher, betrachtete von meinem Balkon aus die Löwen, Giraffen und Elefanten des Zoos oder lag in meiner luxuriösen Badewanne und vergeudete das heiße Wasser ohne die Spur eines schlechten Gewissens. In dem lobenswerten Bestreben, mich abzulenken, forderte Thomas mich auf, mit einer jungen Frau auszugehen, einer Sekretärin des Führers, die ihren Urlaub in Berlin verbrachte, wo sie kaum jemanden kannte; aus Höflichkeit ließ ich mich darauf ein. Ich führte sie zum Abendessen ins Hotel Kempinski : Obwohl die Gerichte mit blödsinnigen patriotischen Namen ausstaffiert waren, war die Küche noch immer ausgezeichnet, und beim Anblick meiner Orden wurde ich mit lästigen Hinweisen auf die Rationierung in Ruhe gelassen. Das junge Mädchen, eine gewisse Grete V., stürzte sich gierig auf die Austern und ließ sie, eine nach der anderen, zwischen ihren Zahnreihen verschwinden: Offenbar aß man in Rastenburg nur mittelmäßig. »Noch nicht mal das!«, rief sie aus. »Zum Glück müssen wir nicht dasselbe wie der Führer essen.« Während ich ihr Wein nachschenkte, erzählte sie mir, dass Zeitzler, der neue Generalstabschefdes Heeres, empört über Görings dreiste Lügen zur Luftversorgung des Kessels im Dezember vor aller Augen damit begonnen habe, sich im Kasino die gleiche Ration servieren zu lassen, wie sie den Soldaten der 6. Armee zugeteilt wurde. Er habe rasch an Gewicht verloren, sodass der Führer ihn zwingen musste, diese krankhaften Demonstrationen zu unterlassen; dafür seien Champagner und Kognak verboten worden. Während sie erzählte, beobachtete ich sie: Ihr Aussehen war ziemlich ungewöhnlich. Sie hatte kräftige Kiefer; ihr Gesicht versuchte sich den Anschein von Normalität zu geben, schien aber ein dumpfes, heimliches Verlangen zu verbergen, das sich in dem blutigen Strich ihres Lippenstifts bahnbrach. Ihre Hände waren sehr lebhaft, die Finger gerötet von schlechter Durchblutung; sie hatte feine, zartgliedrige Gelenke, wie Vogelknochen; ihr linkes Handgelenk war wie abgeschnitten von merkwürdigen Abdrücken, Spuren von Armreifen oder Schnüren. Sie wirkte auf mich elegant und temperamentvoll, aber wie von einer stummen Unaufrichtigkeit verschleiert. Als der Wein ihr die Zunge löste, brachte ich sie dazu, über das Privatleben des Führers zu plaudern, was sie mit überraschender Indiskretion tat: Jeden Abend halte er stundenlange Vorträge, und seine Monologe seien so monoton, so langweilig, so uninteressant, dass die Sekretärinnen, Bürokräfte und Adjutanten für das Zuhören ein Rotationssystem entwickelt hätten; wer an der Reihe sei, komme erst im Morgengrauen ins Bett. »Natürlich ist er ein Genie«, fügte sie hinzu, »Deutschlands Retter. Aber dieser Krieg laugt ihn aus.« Am Nachmittag gegen fünf, nach den Lagevorträgen, aber vor dem Abendessen, den Filmen und dem Tee zur Nacht, trinke er mit den Sekretärinnen Kaffee; bei dieser Gelegenheit, inmitten von Frauen, gebe er sich sehr viel herzlicher – zumindest sei es so vor Stalingrad gewesen –, er scherze, necke die jungen Frauen und sie sprächen nicht über Politik. »Flirtet er mit Ihnen?«, fragte ich amüsiert. Ihr Gesichtwurde ernst: »Oh nein, niemals!« Sie fragte mich nach Stalingrad; ich lieferte ihr eine gallige sarkastische Beschreibung, bei der sie zunächst Tränen lachte, dann aber solches Unbehagen empfand, dass sie mich bat aufzuhören. Ich
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