Die Wohlgesinnten
der Seitenwand einer kleinen weiß gekalkten Halle entdeckte ich eine niedrige Tür aus altem eisenbeschlagenem Holz: Ich stieß sie auf; einige Steinstufen führten in einen niedrigen breiten Gang, der von einigen Fensteröffnungen erhellt wurde. An der gegenüberliegenden Wand standen Glasschränke, angefüllt mit Kultgegenständen; einige schienen mir alt und wunderbar gearbeitet. Zu meiner Überraschung waren in einer der Vitrinen jüdische Kultgegenstände ausgestellt: hebräische Schriftrollen, Gebetsmäntel, alte Stiche, die Juden in der Synagoge darstellten. Einige hebräische Bücher wiesen deutsche Druckvermerke auf: Lemberg 1884 ; Lublin 1853 , bei Schmuel Bernstein . Ich hörte Schritte und hob den Kopf: Ein Mönch mitTonsur kam auf mich zu. Er trug das weiße Gewand der Dominikaner. Er blieb neben mir stehen: »Guten Tag«, sagte er auf Deutsch. »Kann ich Ihnen helfen?« – »Was ist das hier?« – »Sie sind in einem Kloster.« Ich wies auf die Regale: »Nein, ich meine all diese Dinge.« – »Das da? Das ist unser Religionsmuseum. Alle Gegenstände stammen aus unserer Region. Schauen Sie sich in Ruhe um, wenn Sie möchten. Normalerweise bitten wir um eine kleine Spende, aber heute kostet es nichts.« Er setzte seinen Weg fort und verschwand wortlos durch die eisenbeschlagene Tür. Dort, wo er aufgetaucht war, bildete der Gang einen rechten Winkel; ich stand in einem von einer kleinen Mauer eingefassten Kreuzgang, der von verriegelten Fenstern, die zwischen den Säulen angebracht waren, abgeschlossen war. Eine lange niedrige Vitrine zog meine Aufmerksamkeit auf sich. An der Wand hing ein kleiner Scheinwerfer und beleuchtete das Innere; ich beugte mich darüber: Zwei Skelette lagen ineinander verschlungen, noch halb von einer Schicht trockener Erde bedeckt. Das größere, trotz der breiten Kupferohrringe, die an seinem Schädel lehnten, sicherlich der Mann, lag auf dem Rücken; das andere, offensichtlich eine Frau, lag zusammengekauert auf der Seite, in seine Arme geschmiegt, beide Beine über eines seiner Beine gelegt. Es war großartig, noch nie hatte ich dergleichen gesehen. Vergeblich versuchte ich, das Schild zu entziffern. Seit wie vielen Jahrhunderten ruhten sie so ineinander verschlungen? Diese Skelette waren bestimmt sehr alt, vermutlich stammten sie aus frühester Zeit; sicherlich war die Frau geopfert und zusammen mit ihrem toten Gebieter ins Grab gelegt worden. Ich wusste, dass dergleichen in primitiven Epochen üblich war. Der Gedanke änderte nichts daran: Es war die Ruheposition nach dem Liebesakt, beseligt und voll rührender Zärtlichkeit. Ich dachte an meine Schwester, und es schnürte mir die Kehle zu: Sie hätte bei diesem Anblick geweint. Ich verließ das Kloster, ohne jemandemzu begegnen. Draußen ging ich geradeaus weiter zum anderen Ende des Platzes. Dahinter öffnete sich ein weiterer großer Platz mit einem weitläufigen Gebäude in der Mitte, das an einen Turm angebaut und von einigen Bäumen eingefasst war. Um diesen Platz drängten sich schmale Häuser, fantasievoll verziert, jedes in einem anderen Stil. Hinter dem zentralen Gebäude versammelte sich eine erregte Menschenmenge. Um ihr auszuweichen, wandte ich mich nach links, ging dann um eine große Kathedrale herum, unter einem Steinkreuz hindurch, das ein Engel liebevoll in seinen Armen hielt, auf einer Seite flankiert von einem melancholischen Moses mit Gesetzestafeln, auf der anderen von einem nachdenklichen, in Lumpen gehüllt Heiligen, wobei die ganze Gruppe auf einem Totenkopf mit gekreuzten Beinknochen ruhte – fast das gleiche Symbol wie auf meiner Mütze. Dahinter, in einer kleinen Gasse, hatte man ein paar Tische und Stühle herausgestellt. Mir war heiß, ich war müde, die Kneipe schien leer, ich nahm Platz. Eine junge Kellnerin kam heraus und sprach mich auf Ukrainisch an. »Haben Sie Bier? Bier?«, fragte ich auf Deutsch. Sie schüttelte den Kopf: » Piwa njetu. « Das verstand ich. »Kaffee? Kawa? « – » Da. « – » Woda? « – » Da. « Sie ging hinein und kam mit einem Glas Wasser zurück, das ich in einem Zug leerte. Dann brachte sie mir den Kaffee. Er war schon gezuckert, ich ließ ihn stehen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Die Kellnerin erschien wieder und sah den Kaffee: »Kaffee? Nicht gut?«, fragte sie auf Deutsch. »Zucker. Njet. « – »Ach so.« Sie lächelte, nahm den Kaffee und brachte mir einen neuen. Er war stark, ohne Zucker, ich trank ihn zur Zigarette. Zu meiner Rechten, am
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