Die Wohlgesinnten
angekommen und nicht im Bilde.« Koch fuhr fort: »Beim AOK heißt es, der Sicherheitsdienst habe Plakate drucken lassen und wiegele diese Leute auf. Aktion Petljura sollen sie die Operation getauft haben. Nach dem Anführer des ukrainischen Widerstands gegen die Bolschewisten. Haben Sie von ihm gehört? Ein Jude hat ihn umgebracht, glaube ich, 1926 oder 27.« – »Sehen Sie, Sie sind doch vom Fach.« – »Ach was, ich habe nur ein paar Berichte gelesen.« Die Kellnerin war aus dem Lokal gekommen. Sie lächelte und signalisierte mir, dass der Kaffee aufs Haus gehe. In Landeswährung hätte ich sowieso nicht zahlen können. Ich sah auf die Uhr: »Entschuldigen Sie mich, Herr Hauptmann. Ich muss gehen.« – »Aber bitte.« Er reichte mir die Hand: »Lassen Sie sich nicht unterkriegen.«
Ich verließ die Altstadt auf dem kürzesten Weg und bahnte mir einen Weg durch die jubelnde Menge. Beim Gruppenstab herrschte reges Treiben. Ich wurde vom selben Offizier wie vorher empfangen: »Ah, Sie schon wieder.« Schließlich ließ man mich zu Brigadeführer Dr. Rasch vor. Er drückte mir herzlich die Hand, doch sein fleischiges Gesicht blieb ernst. »Setzen Sie sich. Was ist mit Standartenführer Blobel passiert?« Er trug keine Mütze, und seine hohe gewölbte Stirn glänzte unter der Glühbirne. Kurz schilderte ich ihm Blobels Zusammenbruch: »Nach Auskunft des Arztes sind Fieber und Erschöpfung die Ursache.« Seine dicken Lippen verzogen sich. Er blätterte in den Papieren auf seinem Schreibtisch und zog ein Blatt hervor. »Der Ic des AOK 6 hat mir geschrieben und sich über seine Äußerungen beschwert. Er soll Wehrmachtsoffiziere bedroht haben?« – »Das ist übertrieben, Brigadeführer. Gewiss, er delirierte, redete zusammenhangloses Zeug. Doch damit hat er niemanden im Besonderen gemeint, das war die Krankheit.« – »Gut.« Er stellte mir noch ein paar Fragen zu anderen Punkten, dannbedeutete er mir, dass das Gespräch beendet sei. »Sturmbannführer von Radetzky ist schon zurück in Luzk, er wird den Standartenführer vertreten, bis der wiederhergestellt ist. Wir werden die Befehle und sonstigen Papiere ausfertigen. Was den heutigen Abend betrifft, so gehen Sie zu Hartl in die Verwaltung, der wird sich um Ihre Unterbringung kümmern.« Ich ging zum Büro des Leiters I; einer seiner Adjutanten überreichte mir die Gutscheine. Dann stieg ich hinunter, um Höfler und Popp ausfindig zu machen. In der Halle stieß ich auf Thomas. »Max!« Er schlug mir auf die Schulter, ein jähes Gefühl der Freude durchströmte mich. »Wie schön, dich zu sehen. Was tust du hier?« Ich erklärte es ihm. »Und du bleibst bis morgen? Ausgezeichnet! Ich esse mit den Abwehrleuten in einem kleinen Restaurant zu Abend, es soll sehr gut sein. Komm doch mit! Hast du schon eine Unterkunft? Es ist nicht luxuriös, aber zumindest gibt es sauberes Bettzeug. Gut, dass du gestern noch nicht hier warst: der reinste Saustall. Die Roten haben vor ihrer Flucht alles geplündert, den Rest haben sich die Ukrainer unter den Nagel gerissen, bevor wir eintrafen. Wir haben uns zwar ein paar Juden gegriffen, die alles säubern mussten, doch das hat Stunden gedauert, erst gegen Morgen sind wir ins Bett gekommen.« Ich verabredete mich mit ihm im Garten hinter dem Gebäude und verabschiedete mich. Popp schnarchte im Opel, Höfler spielte mit Polizisten Karten; ich informierte ihn kurz, dann ging ich in den Garten und rauchte, während ich auf Thomas wartete.
Thomas war ein guter Kamerad, ich freute mich aufrichtig, ihn wiederzusehen. Wir waren seit einigen Jahren befreundet; in Berlin aßen wir häufig gemeinsam zu Abend; manchmal nahm er mich in Nachtlokale oder berühmte Konzertsäle mit. Er war ein Lebemann und kannte sich aus. Übrigens hatte ich es vor allem ihm zu verdanken, dass ich mich jetzt in Russland befand; zumindest war der Vorschlagvon ihm gekommen. Doch die Geschichte reichte weiter zurück. Im Frühjahr 1939 – ich hatte gerade meinen Doktor in Jura gemacht und im SD angefangen – war viel vom Krieg die Rede. Nach Böhmen und Mähren hatte der Führer jetzt ein Auge auf Danzig geworfen; es kam nur darauf an, die Reaktion Frankreichs und Großbritanniens richtig einzuschätzen. Allgemein war man der Ansicht, sie würden wegen Danzig ebenso wenig einen Krieg riskieren, wie sie es wegen Prag getan hatten; doch beide Länder hatten die Westgrenze Polens garantiert und rüsteten fieberhaft auf. Immer wieder diskutierte ich die Frage mit meinem
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