Die Wohlgesinnten
beseitigen, dann wäre einedeutsch-französische Allianz nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern eine unvermeidliche Realität, eine neue europäische Entente, die den britischen Plutokraten und Imperialisten die Flügel schon stutzen und binnen Kurzem in der Lage sein werde, den Bolschewisten die Stirn zu bieten und Russland in das Konzert der zivilisierten europäischen Mächte zurückzuholen (wie man sieht, hatte meine Reise nach Deutschland meiner intellektuellen Erziehung erheblich auf die Sprünge geholfen; Moreau wäre entsetzt gewesen, hätte er gewusst, welchen Nutzen ich aus seinem Geld zog). Im Allgemeinen teilte Brasillach meine Meinung: »Ja«, sagte er, »die Nachkriegszeit ist schon zu Ende. Wir müssen uns beeilen, wenn wir einen weiteren Krieg vermeiden wollen. Er wäre eine Katastrophe, das Ende der europäischen Kultur, der Triumph der Barbarei.« Die meisten Jünger Maurras’ dachten wie er. Einer ihrer glänzendsten und sarkastischsten Köpfe war Lucien Rebatet, der unter dem Namen François Vinneuil für die Literatur- und Filmkritik der Action française zuständig war. Er war zehn Jahre älter als ich, doch wir schlossen unter dem Eindruck seiner Sympathie für Deutschland rasch Freundschaft. Außerdem waren da noch Maxence, Blond, Jacques Talagrand – der spätere Thierry Maulnier –, Jules Supervielle und viele andere. Wir trafen uns in der Brasserie Lipp, wenn jemand bei Kasse war, wenn nicht, in einer Studentenkneipe des Quartier Latin. Mit Feuereifer diskutierten wir über Literatur und versuchten eine »faschistische« Literatur zu definieren: Rebatet schlug Plutarch, Corneille, Stendhal vor. »Der Faschismus ist die Poesie des 20. Jahrhunderts«, verkündete Brasillach eines Tages, und ich konnte ihm nur beipflichten: Faschist, fascio, Faszination (später, klüger oder vorsichtiger geworden, behauptete er allerdings das Gleiche vom Kommunismus).
Im Frühjahr 1932, als ich meine Aufnahmeprüfung bestand, beendeten die meisten meiner ENS-Freunde ihr Studium;nach dem Sommer zerstreuten sie sich über ganz Frankreich, die einen, um ihren Militärdienst abzuleisten, die anderen, um eine Lehrtätigkeit aufzunehmen. Ich verbrachte meine Ferien wieder in Deutschland, das damals in wildem Aufruhr war: Die Produktion der deutschen Wirtschaft war gegenüber 1929 um die Hälfte zurückgegangen, und Brüning regierte mit Hindenburgs Unterstützung durch Notverordnungen. Diese Situation konnte nicht von Dauer sein. Auch andernorts war die herrschende Ordnung ins Wanken geraten. In Spanien war die Monarchie durch ein Komplott von Freimaurern, Revolutionären und Pfaffen gestürzt worden. Amerika war fast am Boden. In Frankreich waren die Auswirkungen der Wirtschaftskrise weniger zu spüren, aber auch dort war die Lage nicht rosig, und die Kommunisten setzten ihre Wühlarbeit heimlich und beharrlich fort. Ohne es jemandem zu sagen, beantragte ich die Aufnahme in die (für Reichsdeutsche geschaffene) Auslandsorganisation der NSDAP, die rasch bewilligt wurde. Als ich im Herbst mein Studium an der ELSP begann, traf ich mich weiterhin mit meinen Freunden von der École Normale und der Action française , die zum Wochenende regelmäßig nach Paris kamen. Meine Kommilitonen waren mehr oder weniger vom gleichen Schlag wie meine Schulkameraden am Janson, doch zu meiner Überraschung fand ich die Kurse interessant. Zu der Zeit, sicher unter dem Einfluss von Rebatet und seinem neuen Freund Louis Destouches, der damals noch kaum bekannt war ( Reise ans Ende der Nacht war gerade erst erschienen, die begeisterte Aufnahme beschränkte sich auf die Zirkel der Eingeweihten, und Céline gefiel sich noch darin, mit den jungen Leuten zu verkehren), begann auch meine leidenschaftliche Liebe zur französischen Klaviermusik, die gerade wiederentdeckt und gespielt wurde; mit Céline besuchte ich die Konzerte von Marcelle Meyer; bitterer denn je bereute ich die Faulheit und den Leichtsinn, die mich bewogen hatten, dasKlavier so rasch aufzugeben. Nach Neujahr forderte Reichspräsident Hindenburg Hitler auf, eine Regierung zu bilden. Meine Kommilitonen zitterten, meine Freunde warteten ab, ich frohlockte. Doch während meine Partei die Roten vernichtete, den Abschaum der Plutokratie beiseitefegte und schließlich die bürgerlichen Parteien auflöste, saß ich in Frankreich fest. Da fand, vor unseren Augen, in unserer Epoche, eine echte nationale Revolution statt, und ich konnte sie nur aus der Ferne, in Zeitungen und
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