Die Wohlgesinnten
Wochenschauen, verfolgen. Auch in Frankreich brodelte es. Viele fuhren hinüber, um die Geschehnisse an Ort und Stelle zu beobachten, und alle schrieben und träumten von einem ähnlichen Wiedererstarken ihres Landes. Sie suchten Kontakt zu Deutschen, den neuen Repräsentanten des offiziellen Deutschlands, die sich eine französisch-deutsche Annäherung wünschten; Brasillach machte mich mit Otto Abetz bekannt, einem Mitarbeiter Ribbentrops (der in dieser Zeit noch außenpolitischer Berater der Partei war): Seine Ansichten unterschieden sich nicht von denen, die ich seit meiner ersten Deutschlandreise vertrat. Doch für viele blieb Maurras ein Hindernis; nur die Intelligentesten erkannten, dass es an der Zeit war, seine hypochondrischen Prophezeiungen zu überwinden, und selbst die konnten sich seinem Charisma und der von ihm ausgehenden Faszination kaum entziehen und zögerten. Zur gleichen Zeit offenbarte die Affäre Stavisky vor aller Augen die kriminellen Machenschaften und die Korruptheit der Mächtigen und gab der Action française eine moralische Autorität zurück, die sie seit 1918 nicht mehr besessen hatte. All das endete am 6. 2. 1934. In Wahrheit war es eine undurchsichtige Angelegenheit: Wir waren auch auf der Straße, außer mir noch Antoine F. (der sein Studium an der ELSP zur selben Zeit wie ich aufgenommen hatte), Blond, Brasillach und einige andere. Auf den Champs-Élysées hörten wir undeutlich Schüsse; ein Stück weiter unten, auf der Höhe derPlace de la Concorde, rannten Menschen. Den Rest der Nacht verbrachten wir damit, durch die Straßen zu marschieren und Parolen zu intonieren, wenn wir anderen jungen Leuten begegneten. Erst am nächsten Tag hörten wir, dass es Tote gegeben hatte. Maurras, auf den sich instinktiv alle Blicke gerichtet hatten, hatte sofort die Flinte ins Korn geworfen. Die ganze Aktion war ein Windei gewesen. » Inaction française «, schäumte Rebatet, der Maurras das nie verzieh. Mir war das egal: Meine Entscheidung nahm Formen an, ich sah für mich keine Zukunft mehr in Frankreich.
In der Redaktion des Je Suis Partout stieß ich ausgerechnet auf Rebatet. »Sieh da! Ein Gespenst.« – »Wie du siehst«, erwiderte ich. »Es scheint, als wärst du jetzt berühmt.« Er breitete die Arme aus und verzog das Gesicht: »Ich versteh das nicht. Dabei habe ich mir doch das Hirn zermartert, um bei meinen Beschimpfungen ja niemanden zu vergessen. Anfangs hat das auch geklappt: Grasset wollte das Buch nicht bringen, weil ich zu viele Freunde des Hauses beleidigt hatte , wie es hieß, und Gallimard bestand auf einschneidenden Kürzungen. Schließlich hat’s dieser Belgier angenommen, du erinnerst dich, der Céline gedruckt hat? Das Ergebnis: Er hat ein Vermögen gemacht und ich auch. Als ich im Rive Gauche signierte, hätte man glauben können, ich wäre ein Filmstar. Im Grunde haben es nur die Deutschen nicht gemocht.« Er warf mir einen misstrauischen Blick zu: »Hast du’s gelesen?« – »Noch nicht, ich warte, bis du es mir schenkst. Warum? Beschimpfst du mich auch?« Er lachte: »Nicht so, wie du’s verdienst, du elender Boche. Eigentlich haben alle geglaubt, du wärst auf dem Feld der Ehre geblieben. Trinken wir was?« Rebatet hatte etwas später eine Verabredung in der Nähe von Saint-Germain und führte mich ins Flore . »Es macht mir jedes Mal einen Heidenspaß, die blöden Visagen unserer Antifaschisten vom Dienst anzuschauen, vor allem wenn sie mich erblicken.« Tatsächlich zog er, als er eintrat, finstereBlicke auf sich; es standen aber auch mehrere Gäste auf, um ihn zu begrüßen. Lucien genoss seinen Erfolg sichtlich. Er trug einen gut geschnittenen hellen Anzug und eine gepunktete Fliege, die ein wenig schief saß; sein Gesicht unter dem zerzausten Schopf war schmal und beweglich. Er wählte einen etwas abseitsstehenden Tisch auf der rechten Seite, unter den Fenstern, und ich bestellte einen Weißwein. Als er seinen Tabak herausholte, um sich eine Zigarette zu drehen, bot ich ihm eine holländische an, die er gern nahm. Doch selbst wenn er lächelte, behielten seine Augen ihren sorgenvollen Ausdruck. »Dann erzähl mal«, sagte er. Wir hatten uns seit 1939 nicht gesehen, er wusste nur, dass ich bei der SS war. In aller Kürze erzählte ich ihm vom Russlandfeldzug, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Er riss die Augen auf: »Du bist in Stalingrad gewesen? Verdammte Scheiße!« Er warf mir einen seltsamen Blick zu, eine Mischung aus Furcht und Neid vielleicht.
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