Die Wohlgesinnten
hatte. »Absurd!«, erwiderte Rebatet. »Bach, gewiss … Es gibt nichts, was mit Bach zu vergleichen wäre. Er ist unerreichbar, übermenschlich. Ihm verdanken wir die endgültige Synthese des Horizontalen und des Vertikalen, der harmonischen Architektur mit dem melodischen Schub. Damit beendet er alles, was ihm voranging, und setzt einen Rahmen, dem sich alle, die nach ihm kommen, auf die eine oder andere Weise zu entziehen suchen, bis Wagner ihn endlich sprengt. Wie ist’s möglich, dass ein Deutscher, ein deutscher Komponist zumal, nicht vor Wagner auf den Knien liegt?« – »Und die französische Musik?« Er verzog das Gesicht: »Dein Rameau? Der ist unterhaltsam .« – »Du hast schon mal anders geredet.«– »Man wird erwachsen, oder?« Nachdenklich leerte er sein Glas. Ich dachte einen Augenblick daran, ihm von Jakow zu erzählen, überlegte es mir dann aber anders. »Und was gefällt dir noch an moderner Musik, von Schönberg mal abgesehen?«, fragte ich. »Vieles. Seit dreißig Jahren erlebt die Musik ein Erwachen. Das ist unglaublich interessant. Strawinsky, Debussy, einfach fabelhaft.« – »Und Milhaud, Satie?« – »Sei nicht töricht.« In diesem Augenblick trat Brasillach ein. Rebatet rief ihn quer durch den Raum an: »He, Robert! Schau mal, wer hier ist!« Brasillach musterte uns durch seine dicken runden Brillengläser, winkte uns flüchtig zu und setzte sich an einen anderen Tisch. »Er wird wirklich unausstehlich«, murmelte Rebatet. »Er mag nicht einmal mehr mit einem Boche gesehen werden. Dabei bist du gar nicht in Uniform.« In Wahrheit verhielt es sich etwas anders, wie ich wusste. »Als ich das letzte Mal in Paris war, hatten wir einen kleinen Streit«, sagte ich, um Rebatet zu beruhigen. Eines Abends nach einem Fest, bei dem Brasillach etwas mehr als üblich getrunken hatte, hatte er den Mut gefunden, mich zu sich einzuladen, und ich war ihm gefolgt. Aber er gehörte zu dieser Sorte verklemmter Schwuler, die sich am liebsten feige einen runterholen, während sie ihren Eromenos anschmachten; ich fand das langweilig und sogar ein wenig abstoßend, daher bereitete ich seiner Erregung ziemlich unvermittelt ein Ende. Ich dachte, wir könnten trotzdem Freunde bleiben. Offenbar hatte ich ihn verletzt, ohne es zu merken, und dabei einen besonders wunden Punkt getroffen: Robert hatte sich nie der schmutzigen und bitteren Wirklichkeit der Lust zu stellen vermocht, und er war auf seine Art der große Pfadfinder des Faschismus geblieben. Armer Brasillach! So eilfertig an die Wand gestellt, so rasch erledigt, damit all die braven Leute wieder mit gutem Gewissen ihre alten Positionen einnehmen konnten. Im Übrigen habe ich mich oft gefragt, ob seine Neigungen nicht etwas dazu beigetragenhatten: Die Kollaboration blieb letzten Endes eine Familienangelegenheit, doch die Päderastie, das war noch etwas anderes, für de Gaulle wie für die braven Arbeiter auf der Geschworenenbank. Wie dem auch sei, Brasillach wäre sicherlich lieber für seine Überzeugungen als für seine sexuellen Vorlieben gestorben. Aber hatte nicht er diesen unvergesslichen Satz über die Kollaboration geschrieben: Wir haben mit Deutschland geschlafen, und wir werden das in süßer Erinnerung behalten ? Rebatet hatte es, ungeachtet seiner Bewunderung für Julien Sorel, schlauer angestellt: Er bekam seine Verurteilung und die Begnadigung gleich dazu; er wurde kein Kommunist; nach alldem fand er noch die Zeit, eine schöne Geschichte der Musik zu schreiben, und es gelang ihm, ein wenig in Vergessenheit zu geraten.
Als er aufbrach, schlug er mir für den Abend ein Treffen mit Cousteau in der Nähe von Pigalle vor. Im Hinausgehen gab ich Brasillach, der dort mit einer mir unbekannten Frau saß, die Hand; er tat so, als hätte er mich vorher nicht erkannt, und begrüßte mich mit einem Lächeln, allerdings ohne mich seiner Begleiterin vorzustellen. Ich erkundigte mich nach seiner Schwester und seinem Schwager; er fragte mich höflich nach den Lebensbedingungen in Deutschland; vage bekundeten wir unseren beiderseitigen Wunsch nach einem Wiedersehen, ohne einen genauen Termin zu vereinbaren. Ich kehrte in mein Hotelzimmer zurück, zog meine Uniform an, setzte eine kurze Nachricht an Knochen auf und gab sie in der Avenue Foch ab. Dann machte ich mich auf den Rückweg, zog mich erneut um und ging bis zum verabredeten Zeitpunkt spazieren. Rebatet und Cousteau traf ich im Liberty , einer Schwulenkneipe an der Place Blanche. Cousteau, der in
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