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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Jackett schwitzte, brach in lautes Lachen aus: »Die Juden sind wie Wildbret, so richtig gut erst mit ’nem bisschen Hautgout.« Schenke lächelte gezwungen; kühl erwiderte ich: »Ihre Arbeiter sind nicht alle Juden.« – »Ach was! Die anderen taugen kaum mehr.« Schenke wirkte zunehmend entnervt: »Sturmbannführer, wenn Sie den Zustand der Häftlinge unbefriedigend finden, sollten Sie sich im Lager beschweren, nicht bei uns. Wie gesagt, das Lager ist für sie verantwortlich. Alles das ist in unserem Vertrag genauestens geregelt.« – »Das verstehe ich durchaus, glauben Sie mir.« Schenke hatte Recht; selbst die Schläge wurden von SS-Wachleuten und ihren Kapos verabreicht. »Ich habe nur den Eindruck, dass man befriedigendere Ergebnisse erzielen könnte, wenn man sie etwas besser behandeln würde. Glauben Sie nicht auch?« Schenke zuckte die Achseln: »Im Idealfall vielleicht. Wir beschweren uns ja auch häufig beim Lager über den Zustand der Arbeiter. Aber wir haben Wichtigeres zu tun, als ständig herumzumeckern.« Hinter ihm, von einem Knüppelhieb niedergestreckt, lag ein Häftling im Todeskampf; sein blutüberströmter Kopf versank im zähen Schlamm; nur das mechanische Zucken seiner Beine verriet, dass er noch lebte. Schenke stieg achtlos über ihn hinweg. Erwar noch völlig mit seinem Ärger über meine letzten Worte beschäftigt: »Wir können uns keine Sentimentalitäten leisten, Herr Sturmbannführer. Wir sind im Krieg. Alles, was zählt, ist die Produktion.« – »Ich bin ganz Ihrer Meinung. Aber ich habe die Aufgabe, Mittel und Wege zur Produktionssteigerung vorzuschlagen. Und das sollte Sie schon interessieren. Schließlich sitzen Sie – wie lange? – seit zwei Jahren an diesem Bauvorhaben, und Sie haben noch kein Kilo Buna produziert.« – »Ja. Aber ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Methanolfabrik schon seit einem Monat in Betrieb ist.«
     
     
    Trotz seiner Erwiderung hatte meine letzte Bemerkung Schenke offensichtlich verstimmt; während des restlichen Rundgangs beschränkte er sich auf kurze mürrische Bemerkungen. Ich ließ mir das der Fabrik angeschlossene KL zeigen, eine von Stacheldraht eingezäunte rechteckige Anlage, die im Süden des Komplexes auf Brachland und dem Gelände des abgerissenen Dorfes errichtet worden war. Ich wies auf die erbärmlichen Lebensbedingungen hin; der Lagerführer schien das völlig normal zu finden. »Die Häftlinge, die IG Farben zurückweist, schicken wir doch nach Birkenau zurück, das uns dafür andere kommen lässt.« Bei meiner Rückkehr ins Stammlager bemerkte ich auf einer Mauer der Stadt eine Inschrift, die mich überraschte: KATYN = AUSCHWITZ. Seit März wurde Goebbels’ Presse nicht müde, diesen Fund polnischer Leichen in Weißrussland aufzuwärmen – Tausende polnischer Offiziere, die nach 1939 von den Bolschewisten ermordet worden waren. Aber wer mochte das hier geschrieben haben? Es gab keine Polen mehr in der Stadt Auschwitz und schon lange keine Juden mehr. Die Stadt selbst erschien mir grau, öde, behäbig wie alle ehemals deutschen Städte im Osten, mit ihrem quadratischenMarktplatz, der Dominikanerkirche mit Schrägdächern und gleich am Ortseingang – die Brücke über die Soa beherrschend – dem Schloss des Herzogs, der einst diese Region regierte. Jahrelang hatte der Reichsführer mit dem Plan geliebäugelt, die Stadt zu vergrößern und aus ihr ein ostdeutsches Gemeinwesen mit Modellcharakter zu machen; mit zunehmender Dauer des Krieges waren diese ehrgeizigen Projekte auf Eis gelegt, und Auschwitz war ein trister, öder Marktflecken geblieben, ein überflüssiges Anhängsel, nahezu vergessen zwischen Lager und Fabrik.
    Das Lagerleben hingegen brachte nicht wenige seltsame Erscheinungen hervor. Piontek hatte mich vor der Kommandantur abgesetzt und fuhr ein Stück zurück, um den Opel abzustellen; ich war im Begriff, die Eingangstreppe emporzusteigen, als meine Aufmerksamkeit von einem Lärm gefesselt wurde, der aus Höß’ Garten kam. Ich zündete mir eine Zigarette an und näherte mich unauffällig: Durch das Gitter sah ich Kinder, die Häftlinge spielten. Der größte von ihnen, der mir den Rücken zukehrte, trug eine Armbinde mit der Aufschrift KAPO und schrie mit schriller Stimme die üblichen Befehle: »Ach…tung! Mützen … auf! Mützen … ab! Zu fünft!« Die vier anderen, drei Mädchen, davon eines noch ganz klein, und ein Junge, standen aufgereiht mit dem Gesicht zu mir und bemühten sich ungeschickt zu

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