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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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»Ja.« – »Dann bis heute Abend!« Vorsichtig über die Ameisenstraße hinwegsteigend, ging er in den Garten.
    Am Abend, nachdem ich im Haus der Waffen-SS vorbeigegangen war, um mich zu waschen und umzuziehen, kehrte ich zu Höß zurück. Vor dem Tor waren nur noch ein paarDutzend Ameisen, die kreuz und quer über den Boden hasteten. Tausende mussten sich jetzt unter der Erde befinden, damit beschäftigt, zu graben, aufzuräumen, abzustützen, unsichtbar, aber unablässig ihre unsinnige Arbeit fortsetzend. Höß empfing mich auf der Vortreppe, ein Kognakglas in der Hand. Er stellte mich seiner Gattin Hedwig vor, einer blonden Frau mit starrem Lächeln und harten Augen, die ein hübsches Abendkleid mit Spitzenkragen und -manschetten trug, neben ihr die beiden ältesten Töchter, Kindi und Püppi, ebenso hübsch gekleidet. Freundschaftlich schüttelte Klaus mir die Hand; er trug eine Tweedjacke von englischem Schnitt, mit Wildlederflicken an den Ellenbogen und dicken Hornknöpfen. »Eine hübsche Jacke«, sagte ich. »Wo hast du die her?« – »Die hat mir mein Papa aus dem Lager mitgebracht«, erwiderte er, strahlend vor Stolz. »Die Schuhe auch.« Es waren Stiefeletten aus glänzendem braunem Leder mit Knöpfen an den Seiten. »Sehr elegant«, sagte ich. Wirths war da und stellte mich seiner Frau vor; die anderen Gäste waren alle Lageroffiziere, Hartjenstein, der Lagerkommandant, Grabner, Chef der Politischen Abteilung, Lagerführer Aumeier, Dr. Caesar und einige andere. Die Atmosphäre war ziemlich steif, steifer als bei Eichmann, aber durchaus freundlich. Caesars Frau, die noch recht jung war, lachte viel; Wirths erklärte mir, dass sie eine seiner Assistentinnen war, um deren Hand er kurz nach dem Tod seiner zweiten an Typhus erkrankten Frau angehalten hatte. Die Unterhaltung drehte sich um den kürzlichen Sturz Mussolinis und seine Verhaftung, die alle ziemlich schockiert hatte; die Loyalitätsbekundungen von Badoglio, dem neuen Ministerpräsidenten, waren wenig vertrauenerweckend. Dann wurde über die Entwicklungsprojekte geredet, die der Reichsführer für den deutschen Osten vorgesehen hatte. In den Köpfen der Gäste geisterten höchst widersprüchliche Vorstellungen herum; Grabner versuchte mich in ein Gespräch über die Kolonisationvon Himmlerstadt zu ziehen, doch ich antwortete ausweichend. Eines war klar: Egal, wie sich die Anwesenden die Zukunft der Region vorstellten, das Lager gehörte untrennbar dazu. Höß glaubte, es werde noch mindestens zehn bis zwanzig Jahre fortbestehen. »Die Erweiterung des Stammlagers wird unter diesem Gesichtspunkt vorgenommen«, erläuterte er. »Sobald wir mit den Juden und dem Krieg fertig sind, wird Birkenau verschwinden, dann wird der Boden wieder landwirtschaftlich genutzt. Aber die oberschlesische Industrie kann, vor allem nach den deutschen Verlusten im Osten, nicht ohne polnische Arbeitskräfte auskommen; das Lager wird noch lange Zeit unentbehrlich sein, um diese Bevölkerungsgruppen im Zaum zu halten.« Zwei weibliche Häftlinge, in einfachen, aber sauberen, aus gutem Stoff geschneiderten Kleidern, gingen zwischen den Gästen mit Tabletts umher; sie trugen die violetten Dreiecke der IBV, der so genannten Zeugen Jehovas. Die Zimmer waren hübsch eingerichtet, mit Teppichen, Ledersofas und -sesseln, wertvollen, schön gearbeiteten Holzmöbeln, Vasen mit frischen Blumen auf runden Spitzendeckchen. Die Lampen warfen ein gelbes, angenehmes, fast gedämpftes Licht. Mit Widmungen versehene vergrößerte Fotografien an den Wänden zeigten den Reichsführer, wie er das Lager mit Höß besichtigt oder dessen Kinder auf den Knien hält. Der Kognak und die Weine waren ausgezeichnet, Höß bot seinen Gästen auch gute jugoslawische Zigaretten der Marke Ibar an. Neugierig betrachtete ich diesen so strengen und gewissenhaften Mann, der seine Kinder die Kleidungsstücke jüdischer Kinder tragen ließ, die unter seiner Verantwortung getötet worden waren. Dachte er daran, wenn er sie betrachtete? Vermutlich kam ihm der Gedanke überhaupt nicht. Seine Frau, seinen Arm haltend, lachte laut und schrill. Ich sah sie an und dachte an ihre Fotze unter dem Kleid, die sich im Spitzenhöschen einer jungen hübschen Jüdin versteckte, die von Höß, ihrem Mann,vergast worden war. Die Jüdin mit ihrer Fotze war schon lange verbrannt und als Rauch aufgestiegen, um sich mit den Wolken zu vereinigen; ihr kostspieliges Höschen, das sie vielleicht extra für ihre Deportation angezogen

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