Die Wohlgesinnten
nur dieses Wort Endlösung , seine triefende Schönheit? Denn wie soll man in Wahrheit der Verführung eines solchen Wortes widerstehen? Das wäre so undenkbar gewesen wie der Widerstand gegen das Wort gehorchen , das Wort dienen , das Wort Gesetz . Und das war vielleicht die tiefere Existenzberechtigung für unsere Sprachregelungen , die letztlich als Tarnjargon ziemlich durchsichtig waren, aber nützlich, um alle, die sich dieser Wörter und Ausdrücke – Sonderbehandlung, abtransportiert, entsprechend behandelt, Wohnsitzverlegung, Exekutivmaßnahmen – bedienten,in den Spitzfindigkeiten ihrer Abstraktionen zu lassen. Diese Tendenz erstreckte sich auf unser ganzes bürokratisches Amtsdeutsch , wie mein Kollege Eichmann es nannte: Im Schriftverkehr, aber auch in der gesprochenen Sprache, herrschten passive Wendungen vor: »Es wurde beschlossen, dass …«, »die Juden sind Sondermaßnahmen zugeführt worden«, »diese schwierige Aufgabe ist erfüllt worden«, und so erledigten sich die Dinge ganz von allein, niemand tat je irgendwas, niemand handelte, es waren Taten ohne Täter, was immer beruhigend ist, und in gewisser Weise waren es noch nicht einmal Taten, denn durch den besonderen Gebrauch, den unsere nationalsozialistische Sprache von bestimmten Substantiven machte, gelang es uns vielleicht nicht, die Verben vollständig zu eliminieren, aber doch, sie auf die Rolle überflüssiger (aber durchaus dekorativer) Anhängsel einzuschränken, und so kamen wir sogar ohne die Tat aus, es blieben nur Fakten, rohe Tatsachen, die entweder schon vorlagen oder auf ihre unvermeidliche Vollendung warteten wie Einsatz, Einbruch, Verwertung, Entpolonisierung, Ausrottung , aber auch umgekehrt die Versteppung Europas durch die bolschewistischen Horden, die im Gegensatz zu Attila die Zivilisation ausradieren wollten, um Platz zu schaffen für das Gras, das ihre Pferde brauchten. Man lebt in seiner Sprache , schrieb Hanns Johst, einer unserer besten nationalsozialistischen Dichter. Voss hätte dies, dessen war ich sicher, nicht bestritten.
Ich wartete immer noch darauf, zu Himmler gerufen zu werden, als die Engländer ihre Luftangriffe auf Berlin mit bemerkenswerter Heftigkeit wieder aufnahmen. Es war am 23. August, einem Montag, ich erinnere mich genau, spät in der Nacht: Ich war zu Hause, schon im Bett, schlief aber sicherlich noch nicht, als die Sirenen losgingen. Ich wäre versucht gewesen, liegen zu bleiben, aber schon erzitterte die Tür unter Frau Gutknechts Fäusten. Sie schrie so laut, dassman kaum die Sirenen hörte: »Herr Sturmbannführer! Herr Sturmbannführer! … Doktor Aue! Aufstehen! Die Luftmörder !!! Zu Hilfe!« Ich zog eine Hose an und entriegelte die Tür: »Richtig, Frau Gutknecht. Es ist die Royal Airforce. Und? Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?« Ihre Hängebacken zitterten, die Partie unter ihren Augen verfärbte sich grünlich, sie bekreuzigte sich und murmelte: »Jesus, Maria und Josef, was sollen wir nur tun?« – »Wir gehen in den Luftschutzkeller wie alle anderen.« Ich machte die Tür wieder zu, zog mich an und ging ruhig hinunter, nachdem ich die Tür wegen der Plünderer abgeschlossen hatte. Dann war der Lärm der Flak zu hören, vor allem im Süden und aus der Gegend des Tiergartens. Der Keller des Gebäudes war zum Luftschutzbunker ausgebaut worden: Er hätte zwar nie einen Volltreffer überstanden, war aber besser als gar nichts. Ich stieg über Gepäckstücke und Beine und richtete mich in einer Ecke ein, so weit wie möglich von Frau Gutknecht entfernt, die ihr Entsetzen mit einigen Nachbarinnen teilte. Einige Kinder weinten vor Angst, andere rannten zwischen den Menschen umher, die dort teils im Anzug und teils im Morgenmantel saßen. Lediglich zwei Kerzen erhellten den Keller, zwei schwankende, zitternde Flämmchen, die alle nahen Einschläge wie Seismographen registrierten. Der Fliegeralarm dauerte mehrere Stunden; leider war das Rauchen in diesen Luftschutzkellern verboten. Ich muss eingenickt sein, ich glaube, keine Bombe hatte unser Viertel getroffen. Als es vorbei war, ging ich, ohne auch nur einen Blick auf die Straße zu werfen, wieder hinauf, um mich hinzulegen. Am nächsten Tag rief ich im SS-Haus an und ließ mir, statt die U-Bahn zu nehmen, Piontek schicken. Er erzählte mir, dass die Bomber aus dem Süden gekommen seien, wohl von Sizilien, und dass vor allem Steglitz, Lichterfelde und Marienfelde etwas abbekommen hätten, obwohl auch von Tempelhof bis Tiergarten Häuser
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