Die Wohlgesinnten
am Einschenken: »Einen Augenblick, bitte. Würden Sie uns zwei Kognakgläser bringen?« – »Selbstverständlich, Herr Oberstarzt.« Mit einem Lächeln zog Hohenegg eine Flasche Hennessy aus seiner Aktentasche und stellte sie auf den Tisch: »Bitte schön. Ein Mann, ein Wort.« Der Kellner kam mit den Gläsern, entkorkte die Flasche und goss uns ein. Hohenegg ergriff sein Glas und stand auf; ich tat es ihm nach. Er sah plötzlich sehr ernst aus, und ich bemerkte, dass er erheblich älter wirkte, als ich ihn in Erinnerung hatte: Seine gelbliche Haut hing ihm weich unter den Augen und an den fleischigen Wangen herab; sein ganzer Körper, obwohl noch fett, schien über dem Knochengerüst dahingeschwunden zu sein. »Ich schlage vor«, sagte er, »dass wir auf all unsere unglücklichen Kameraden trinken, die nicht so viel Schwein gehabt haben wie wir. Und vor allem auf die,die doch noch irgendwo am Leben sind.« Wir tranken und setzten uns wieder. Hohenegg schwieg einen Augenblick und spielte mit dem Messer, dann kehrte der lebhafte Ausdruck in sein Gesicht zurück. Ich erzählte ihm, wie ich herausgekommen war, jedenfalls soweit Thomas es mir berichtet hatte, und fragte ihn nach seiner Geschichte. »Bei mir war das einfacher. Ich hatte meine Arbeit beendet und den Bericht bei General Renoldi abgegeben, der seine Sachen aber schon für Sibirien packte und sich um alles andere keinen Deut scherte; da wurde mir klar, dass man mich vergessen hatte. Glücklicherweise kannte ich einen zuvorkommenden jungen Mann beim AOK; dank seiner konnte ich eine Meldung an die Heeresgruppe rausschicken, mit Kopie an meine Fakultät, in der es einfach hieß, ich könne meinen Bericht jetzt abliefern. Da haben sie sich an mich erinnert, und am nächsten Tag erhielt ich den Befehl, den Kessel zu verlassen. Als ich in Gumrak auf mein Flugzeug wartete, bin ich, nebenbei bemerkt, auf Sie gestoßen. Ich hätte Sie gern mitgenommen, doch in Ihrem Zustand waren Sie nicht transportfähig, und ich konnte noch nicht einmal Ihre Operation abwarten, die Flüge wurden immer seltener. Ich glaube übrigens, dass ich einen der letzten Starts aus Gumrak erwischt habe. Das Flugzeug unmittelbar vor uns ist vor meinen Augen zu Bruch gegangen; vom Lärm der Explosion war ich noch bei meiner Ankunft in Noworossisk ganz benommen. Wir sind beim Start direkt durch den Rauch und die Flammen geflogen, die vom Wrack aufstiegen, das war sehr beeindruckend. Danach habe ich Urlaub bekommen; anstatt mich wieder zur neu aufgestellten 6. Armee abzukommandieren, haben sie mich ans OKW überstellt. Und Sie, was machen Sie?« Beim Essen schilderte ich ihm die Probleme meiner Arbeitsgruppe. »Das scheint mir in der Tat eine heikle Angelegenheit zu sein«, meinte er, »Weinrowski kenne ich gut, eine ehrliche Haut und ein integrer Gelehrter; aber er hat überhaupt keinenpolitischen Instinkt und tritt häufig ins Fettnäpfchen.« Ich blieb nachdenklich: »Sie könnten sich wohl nicht mal mit ihm und mir zusammensetzen? Um uns zu helfen, die allgemeine Marschrichtung festzulegen?« – »Mein lieber Aue, darf ich Sie daran erinnern, dass ich ein Sanitätsoffizier der Wehrmacht bin. Ich bezweifle sehr, dass Ihre Vorgesetzten – und die meinen – davon angetan wären, wenn Sie mich in diese finstere Geschichte einbeziehen würden.« – »Nicht offiziell natürlich. Einfach eine private Unterhaltung mit Ihrem alten Freund von der Fakultät?« – »Ich habe nie gesagt, dass er mein Freund ist.« Nachdenklich fuhr sich Hohenegg mit der Hand über den kahlen Schädel; sein faltiger Hals hing ihm über den geschlossenen Kragen. »Selbstverständlich bin ich in meiner Eigenschaft als Anatom und Pathologe immer hocherfreut, wenn ich der Menschheit helfen kann; schließlich fehlt es mir nie an Kundschaft. Wenn Sie wollen, brauchen wir diese Flasche Kognak nur zu dritt zu leeren.«
Weinrowski lud uns zu sich ein. Er wohnte mit seiner Frau in einer Dreizimmerwohnung in Kreuzberg. Er zeigte uns auf dem Klavier zwei Fotos von jungen Männern, das eine schwarz gerahmt und mit Trauerflor: Sein Ältester, Egon, war bei Demjansk gefallen. Der Jüngere stand in Frankreich und hatte bislang eine ruhige Kugel geschoben, aber seine Division war in aller Eile nach Italien geworfen worden, um die neue Front zu verstärken. Während Frau Weinrowski uns Tee und Kekse servierte, sprachen wir über die Lage in Italien: Wie allgemein erwartet, hatte Badoglio nur auf eine Gelegenheit gewartet, um die
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