Die Wohlgesinnten
eingearbeitet seien, es fehle an Ausbildern und den Möglichkeiten, jeden Monat neue Arbeitsgruppen anzulernen. Im Übrigen seien bei jeder Arbeit, die eine minimale Qualifikation voraussetze, frühestens nach einem halben Jahr ausreichende Fertigkeiten zu erwarten: nur wenige Häftlinge würden so lange durchhalten.Der Herr Reichsminister Speer sei über den Stand der Dinge sehr enttäuscht und finde, dass auf dieser Ebene die Beteiligung der SS an den Kriegsanstrengungen verbessert werden könne. Zum Schluss überreichte er uns ein Memorandum, das Auszüge aus den Briefen der Unternehmen enthielt. Während ich nach seinem Fortgang das Memorandum durchblätterte, zuckte Rizzi die Achseln und fuhr sich mit der Zunge über die schmalen Lippen: »Was ich von Anfang an gesagt habe: qualifizierte Arbeiter.« Ich hatte auch die Dienststelle Sauckels, des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA), um Entsendung eines Vertreters gebeten, damit er uns die Auffassung seiner Dienststelle darlege. Ein Untergebener Sauckels hatte mir ziemlich scharf geantwortet: wenn es die Sipo für richtig halte, Fremdarbeiter unter fadenscheinigen Vorwänden zu verhaften, und sie in die Lager schicke, um deren Personalbestand zu erhöhen, müsse sich die SS auch um ihren Unterhalt kümmern; jedenfalls fühle sich der GBA dafür nicht mehr zuständig. Brandt hatte mich telefonisch daran erinnert, dass der Reichsführer großen Wert auf die Ansicht des RSHA lege; daher hatte ich auch Kaltenbrunner angeschrieben, der mich an Müller verwiesen hatte, und der wiederum hatte mir geantwortet, ich solle mich mit Obersturmbannführer Eichmann in Verbindung setzen. Vergebens hatte ich eingewandt, das Problem gehe weit über die Judenfrage hinaus, für die doch allein Eichmann zuständig sei, Müller hatte nicht mit sich reden lassen; also telefonierte ich mit der Kurfürstenstraße und bat Eichmann, mir einen Kameraden zu schicken; er antwortete mir, er wolle lieber persönlich kommen. »Mein Stellvertreter Günther ist in Dänemark«, erklärte er, als ich ihn begrüßte. »In jedem Falle befasse ich mich mit Fragen von solcher Wichtigkeit lieber selbst.« Als wir alle am großen Tisch versammelt waren, hielt er ein unbarmherziges Plädoyer gegen die jüdischen Häftlinge, die er für eine immer gefährlichereBedrohung hielt; seit Warschau würden sich die Aufstände häufen; nach einer Revolte in einem Sonderlager im Osten (es handelte sich um Treblinka, doch Eichmann nannte es nicht beim Namen) habe die SS mehrere Tote zu beklagen gehabt, und Hunderte von Häftlingen seien entwichen; man habe nicht alle wieder einfangen können. Das RSHA fürchte, wie der Reichsführer selbst, die Häufigkeit solcher Zwischenfälle werde noch zunehmen; und das könne man sich, angesichts der angespannten Lage an der Front, einfach nicht erlauben. Ferner erinnerte er uns daran, dass die Juden, die mit RSHA-Transporten in die Lager verbracht würden, alle zum Tode verurteilt seien: »Daran lässt sich nichts ändern, selbst wenn wir es wollten. Äußerstenfalls könnte in gewisser Weise ihre Arbeitskraft für das Reich nutzbar gemacht werden, bevor sie sterben.« Mit anderen Worten, selbst wenn bestimmte politische Ziele aus wirtschaftlichen Gründen etwas aufgeschoben würden, so blieben sie trotzdem in Kraft; es handle sich also nicht darum, zwischen qualifizierten und nicht qualifizierten Häftlingen zu unterscheiden – ich hatte ihn kurz über den Stand unserer Diskussionen informiert –, sondern zwischen den verschiedenen politisch-polizeilichen Kategorien. Die russischen oder polnischen Arbeiter beispielsweise, die wegen Diebstahls verhaftet worden seien, hätte man zwar ins Lager geschickt, doch weiter reiche ihr Strafmaß nicht; das WVHA könne nach Belieben über sie verfügen. Mit den Häftlingen, die wegen »Rassenschande« verurteilt seien, lägen die Dinge schon erheblich schwieriger. Doch bei den Juden und den Asozialen, die vom Justizministerium überstellt würden, dürfte es keine Unklarheiten geben: In gewisser Weise seien sie an das WVHA nur ausgeliehen, da sie bis zu ihrem Tod in der Zuständigkeit des RSHA verblieben; an ihnen sei die Politik der Vernichtung durch Arbeit buchstabengetreu durchzuführen: Es sei also nutzlos, für sie Nahrung zu verschwenden. Diese Ausführungenmachten auf einige meiner Kameraden großen Eindruck, und nach Eichmanns Fortgang wurden unterschiedliche Rationen für jüdische und andere Häftlinge
Weitere Kostenlose Bücher