Die Wohlgesinnten
nach England oder sogar Kanada, Frank hatte das häufig als einen Raub am Kulturerbe Polens angeprangert. Ermüdet schloss ich mich schließlich einer Gruppe von SS-Offizieren an, die über den Fall Neapels und das Husarenstück Skorzenys plauderten. Ich hörte ihnen nur zerstreut zu, da ein merkwürdiges Geräusch meine Aufmerksamkeit gefangen nahm, eine Art rhythmisches Reiben. Es kam näher, ich sah mich um; da fühlte ich einen Stoß gegen meine Stiefel und schaute nach unten: Ein buntes Tretauto, von einem schönen blonden Kind gesteuert, war mit mir zusammengestoßen. Wortlos, mit ernster Miene blickte das Kind mich an, die Patschhändchen ums Lenkrad geklammert; es mochte vier oder fünf Jahre alt sein und trug einen hübschen kleinen Anzug mit Hahnentrittmuster. Ich lächelte,aber es sagte noch immer nichts. Da verstand ich und trat mit einer Verbeugung zur Seite; immer noch stumm, begann es wieder wie wild in die Pedale zu treten, schoss in einen benachbarten Raum und verschwand zwischen den wie Säulen aufgepflanzten Wachen. Kurz darauf hörte ich es zurückkommen: Stur fuhr es geradeaus, ohne auf die Menschen zu achten, die ihm den Weg frei machen mussten. In Höhe des Buffets hielt es an und wand sich aus seinem Fahrzeug, um sich ein Stück Kuchen zu nehmen; aber sein kleiner Arm war zu kurz, vergebens stellte es sich auf die Zehenspitzen, es konnte nichts erreichen. Ich trat zu ihm und fragte: »Was möchtest du denn?« Noch immer stumm, zeigte es mit dem Finger auf eine Sachertorte. »Sprichst du Deutsch?« Entrüstet antwortete es: »Natürlich spreche ich Deutsch!« – »Dann hat man dir doch sicher das Wörtchen ›bitte‹ beigebracht.« Der Kleine schüttelte den Kopf: »Ich brauch nicht ›bitte‹ zu sagen!« – »Und warum nicht?« – »Weil mein Papa König von Polen ist und ihm hier alle gehorchen müssen!« Ich schüttelte den Kopf: »Das ist sehr schön. Aber du musst die Uniformen unterscheiden lernen. Ich diene nicht deinem Papa, ich diene dem Reichsführer SS. Also, wenn du ein Stück Torte willst, musst du ›bitte‹ sagen.« Mit zusammengekniffenen Lippen zögerte das Kind; offenbar war es an so viel Widerspruch nicht gewöhnt. Schließlich gab es nach: »Könnte ich bitte ein Stück Kuchen haben?« Ich nahm ein Stück Torte und gab es ihm. Während der Junge es aß und sich den Mund mit Schokolade beschmierte, musterte er meine Uniform. Dann zeigte er mit dem Finger auf mein Eisernes Kreuz. »Bist du ein Held?« – »In gewisser Weise ja.« – »Hast du Krieg geführt?« – »Ja.« – »Mein Papa hat das Kommando, aber er führt keinen Krieg.« – »Ich weiß. Wohnst du immer hier?« Er nickte. »Und gefällt es dir, in einem Schloss zu wohnen?« Er zuckte die Achseln: »Es geht. Aber hier sind keine anderen Kinder.« – »Du hast doch Geschwister?« Ernickte wieder: »Ja. Aber ich spiele nicht mit ihnen.« – »Warum nicht?« – »Weiß nicht. Einfach so.« Ich wollte ihn nach seinem Namen fragen, doch am Saaleingang entstand eine gewisse Unruhe: Eine große Gruppe kam auf uns zu, Frank und der Reichsführer allen voran. »Ah, da bist du ja!«, rief Frank dem Kleinen zu. »Komm, rasch, rasch. Sie auch, Sturmbannführer.« Frank nahm seinen Sohn auf den Arm und zeigte, an mich gewandt, auf das Tretauto: »Könnten Sie das tragen?« Ich nahm das Auto und folgte ihnen. Die Gruppe durchquerte alle Säle und versammelte sich vor einer Tür, die Frank öffnen ließ. Dann trat er zur Seite und ließ Himmler vorbei: »Nach Ihnen, mein lieber Reichsführer. Treten Sie ein, treten Sie ein.« Er setzte seinen Sohn ab und gab ihm einen kleinen Stoß, zögerte, blickte mich an und flüsterte mir zu: »Lassen Sie es irgendwo in der Ecke, wir nehmen es nachher wieder mit.« Ich folgte ihnen in den Saal und stellte das Auto ab. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Tisch, auf dem etwas unter einem schwarzen Tuch lag. Frank, den Reichsführer an seiner Seite, wartete auf die anderen Gäste und verteilte sie um den Tisch, der mindestens drei mal vier Meter maß. Wieder hielt sich der Kleine am Tisch fest und stellte sich auf die Zehenspitzen, aber er reichte kaum bis zur Tischplatte. Frank blickte sich um, sah mich etwas abseits stehen und rief mich zu sich: »Entschuldigen Sie, Sturmbannführer. Aber Sie haben sich bereits mit ihm angefreundet, wie ich sehe. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ihn hochzunehmen, damit er sehen kann?« Ich beugte mich hinab und nahm das Kind auf den
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