Die Wohlgesinnten
diesem Tag die Worte des Reichsführers gehört hat oder nicht, Reichsminister Speer wusste,wie alle, Bescheid; zumindest zu diesem Zeitpunkt wusste er genug darüber, um zu wissen, dass es besser war, nicht mehr darüber zu wissen , um einen Historiker zu zitieren, und ich kann versichern, dass er etwas später, als ich ihn besser kennengelernt hatte, über alles Bescheid wusste, auch über die Frauen und die Kinder, die man schließlich ohne sein Wissen nicht hätte verwahren können, und auch wenn er nie davon sprach, das stimmt, auch wenn er nicht über alle technischen Details informiert war, die schließlich nicht seinen engeren Zuständigkeitsbereich betrafen. Ich bestreite nicht, dass er es sicherlich vorgezogen hätte, nichts zu wissen; Gauleiter von Schirach, den ich an diesem Abend sah, zusammengesunken auf einem Stuhl, mit gelöstem Schlips und offenem Kragen, wie er einen Kognak nach dem anderen in sich hineinschüttete, hätte es sicherlich auch vorgezogen, nichts zu wissen, und mit ihm viele andere, entweder weil sie nicht mehr zu ihren Überzeugungen stehen mochten oder weil sie bereits die Vergeltungsmaßnahmen der Alliierten befürchteten, doch es ist hinzuzufügen, dass diese Männer, die Gauleiter, wenig zu den Kriegsanstrengungen beigetragen, sie sogar in manchen Fällen behindert haben, während Speer, darin sind sich heute alle Fachleute einig, dem nationalsozialistischen Deutschland mindestens zwei zusätzliche Jahre verschafft und damit mehr als irgendein anderer zur Verlängerung jener Angelegenheit beigetragen hat, und er hätte sie noch mehr verlängert, wenn er gekonnt hätte, und ganz bestimmt hat er den Sieg gewollt, wie ein schöner Teufel hat er um den Sieg gerungen, den Sieg dieses nationalsozialistischen Deutschlands, das die Juden vernichtete, Frauen und Kinder eingeschlossen, und die Zigeuner und sonst noch viele andere, und deshalb erlaube ich mir, trotz der außerordentlichen Hochachtung für die Leistungen, die er als Minister vollbracht hat, die Reue, die er nach dem Krieg zur Schau getragen hat, ein ganz klein wenig geschmacklos zu finden, eine Reue, mitder er seine Haut gerettet hat, gewiss, obwohl er sein Leben nicht mehr oder weniger verdient hat als andere, Sauckel zum Beispiel oder Jodl, was ihn anschließend, um bei seiner Haltung zu bleiben, zu immer wunderlicheren Verrenkungen gezwungen hat, obwohl es doch für ihn ganz einfach gewesen wäre, vor allem nachdem er seine Strafe abgegolten hatte, zu sagen: Ja, ich wusste Bescheid, na und? So wie es mein Kamerad Eichmann in Jerusalem mit der unverstellten Schlichtheit schlichter Gemüter gesagt hat: Reue ist etwas für kleine Kinder.
Auf Befehl von Brandt verließ ich den Empfang gegen zwanzig Uhr, ohne mich von Dr. Mandelbrod verabschieden zu können, der in Gespräche vertieft war. Mit mehreren anderen Offizieren wurde ich ins Hotel Posen gefahren, damit ich mein Gepäck holen konnte, dann zum Bahnhof, wo uns der Sonderzug des Reichsführers erwartete. Wieder bekam ich ein eigenes Abteil, doch dieses Mal von weit bescheideneren Ausmaßen als im Waggon von Dr. Mandelbrod, mit einer schmalen Schlafkoje. Der Zug, Heinrich hieß er, war außerordentlich sinnreich konzipiert: Vorn befanden sich, außer den gepanzerten Privatwaggons des Reichsführers, die zu Büros und fahrenden Fernmeldezentren umgebauten Wagen, das Ganze geschützt von Plattformen mit Flugabwehrkanonen; wenn nötig, konnte der gesamte Stab während der Fahrt arbeiten. Ich sah den Reichsführer nicht einsteigen; einige Zeit nach unserer Ankunft setzte sich der Zug in Bewegung; diesmal hatte ich ein unverhängtes Abteilfenster, ich konnte das Licht ausmachen, im Dunkeln sitzen, die Nacht betrachten, eine schöne klare Herbstnacht, von den Sternen und einer Mondsichel beleuchtet, die einen feinen metallischen Schimmer über die ärmliche Landschaft Polens ausgoss. VonPosen nach Krakau sind es ungefähr vierhundert Kilometer; es gab zahlreiche Fahrtunterbrechungen wegen Fliegeralarm oder Überlastung der Schienenwege, und wir trafen erst nach Morgengrauen ein; ich war bereits wach, saß auf meiner Liege und schaute auf die vorbeiziehenden grauen Ebenen und Kartoffeläcker, die einen sanften roten Ton annahmen. Auf dem Krakauer Bahnhof wurden wir von einer Ehrenformation in Empfang genommen, mit dem Generalgouverneur an der Spitze, auf rotem Teppich und mit Musikzug; von weitem sah ich Frank, umringt von jungen Polinnen in Landestracht, die Körbe voller
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