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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Ergebnisse an, billige sie, und dann rechnen wir aus, wie viel Sprengstoff, wie viele Zünder und so weiter wir für den gesamten Distrikt brauchen. Und dann entscheiden wir, wo und wie wir sie am fraglichen Platz lagern wollen; schließlich legen wir die Phasen fest, damit die örtlichen Kommandanten genau wissen, wann sie die Ladungen anbringen, wann sie die Zünder einsetzen und unter welchen Bedingungen sie auf den Knopf drücken müssen. Ein Plan eben. So soll verhindert werden, dass im schlimmsten aller Fälle die Brücken in Feindeshand fallen, weil wir nichts haben, um sie in die Luft zu jagen.« – »Und gebaut haben Sie immer noch keine?« – »Leider nicht! Meine Verwendung in der Ukraine war mein Verderben: Mein Bericht über die sowjetischen Zerstörungen hat dem Pionierführer bei der Heeresgruppe Süd so gut gefallen, dass er ihn ans OKH weitergereicht hat. Ich wurde zurückbeordert und zum Abteilungsleiter ›Brückensprengung‹ befördert – es gibt andere Sachgebiete, die sich mit Fabriken, Schienenwegen, Straßen befassen; die Flugplätze sind Sache der Luftwaffe, aber von Zeit zu Zeit kommen wir zu Besprechungen zusammen. Kurzum, seither tu ich nichts anderes mehr. Alle Brücken des Manytsch und des unteren Dons, das bin ich. Donez, Desna, Oka, ebenfalls ich. Ich habe schon Hunderte in die Luft gejagt. Es ist zum Heulen. Meine Frau ist zufrieden, weil ich befördert werde« – er tippte sich auf die Schulterstücke:tatsächlich, seit Kiew war er mehrfach befördert worden –, »aber mir bricht es das Herz. Jedes Mal habe ich den Eindruck, ein Kind umzubringen.« – »Nehmen Sie es nicht so schwer, Herr Oberst. Schließlich sind es nur sowjetische Brücken.« – »Ja, aber wenn es so weitergeht, sind eines Tages die deutschen Brücken dran.« Ich lächelte: »Das ist nun wirklich Defätismus.« – »Entschuldigen Sie. Manchmal beschleicht mich Mutlosigkeit. Schon als kleines Kind habe ich immer Sachen gebaut, während meine Schulkameraden nur zerstören wollten.« – »Es gibt keine Gerechtigkeit. Kommen Sie, holen wir uns noch etwas zu trinken.« Im großen Saal spielte das Orchester Liszt, einige Paare tanzten noch. Frank saß in einer Ecke mit Himmler und seinem Staatssekretär Bühler; sie unterhielten sich angeregt und tranken Kaffee und Kognak; sogar der Reichsführer rauchte eine dicke Zigarre und hatte, ganz gegen seine Gewohnheit, ein volles Glas vor sich stehen. Frank saß vornübergebeugt, sein wässriger Blick war schon alkoholgetränkt; Himmler runzelte die Stirn und machte ein verkniffenes Gesicht: Vermutlich missbilligte er die Musik. Ich stieß noch einmal mit Osnabrugge an, während das Stück zu Ende ging. Als das Orchester verstummte, erhob sich Frank, das Kognakglas in der Hand. Himmler anblickend, erklärte er mit lauter, aber zu schriller Stimme: »Mein lieber Reichsführer, Sie kennen sicherlich den beliebten Vierzeiler: Clarum regnum Polonorum / Est coelum Nobiliorum / Paradisum Judaeorum / Et infernum Rusticorum. Die Adligen sind seit langem verschwunden, und dank unserer Bemühungen auch die Juden, die Bauern werden es in Zukunft zu Wohlstand bringen und uns nützen; und Polen wird der Himmel und das Paradies des deutschen Volkes sein: Coelum et Paradisum Germanorium. « Sein stockendes Latein ließ eine Frau in der Nähe laut auflachen; Frau Frank, die sich nicht weit von ihrem Mann wie ein hinduistisches Götzenbild ausgebreitet hatte, durchbohrte sie mit ihrenBlicken. Mit unbewegter Miene, die Augen hinter dem Kneifer kalt und undurchschaubar, hob der Reichsführer sein Glas und befeuchtete die Lippen. Frank ging um den Tisch herum, durchquerte den Saal und stieg leichtfüßig, mit einem Schritt, aufs Podium. Der Pianist sprang auf und trat zur Seite; Frank nahm seinen Platz ein und schüttelte, tief einatmend, seine weißen dicklichen Hände über dem Klavier aus, dann begann er, ein Nocturne von Chopin zu spielen. Der Reichsführer seufzte; er blinzelte und zog heftig an seiner Zigarre, die auszugehen drohte. Osnabrugge beugte sich zu mir: »Ich glaube, der Generalgouverneur legt es bewusst darauf an, Ihren Reichsführer zu ärgern. Glauben Sie nicht?« – »Wäre das nicht etwas kindisch?« – »Er ist beleidigt. Es heißt, er habe im letzten Monat wieder versucht, seinen Rücktritt einzureichen, und der Führer habe es abermals abgelehnt.« – »Wenn ich richtig informiert bin, hat er hier nicht mehr viel zu sagen.« – »Wenn meine Wehrmachtskameraden

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