Die Wohlgesinnten
darauf, Ihnen unnötigen Ärger zu ersparen. Wissen Sie, die Berichte, die Sie damals für den SD verfasst haben, sind sofort positiv aufgefallen. Sehr gut geschrieben, auf das Wesentliche konzentriert, von einer vorbildlichen weltanschaulichen Haltung durchdrungen. Schade, dass Sie nicht weitergemacht haben, aber gut, das ist Ihre Entscheidung. Trotzdem, als ich den Bericht von Kommissar Halbey las, habe ich mir gesagt, dass das ein Verlust für den Nationalsozialismus wäre. Ich habe mit Dr. Best telefoniert, übrigens habe ich ihn geweckt, und er sah die Sache genauso und hat mich ermächtigt, hierherzufahren und Kommissar Halbey zu veranlassen, diese peinliche Untersuchung einzugrenzen. Sie wissen, dass polizeiliche Ermittlungen aufgenommen werden müssen, da ein Mensch ums Leben gekommen ist. Außerdem ist ein Polizist verwundet worden. Eigentlich müssten Sie zumindest als Zeuge vorgeladen und gehört werden. Berücksichtigt man den Schauplatz des Verbrechens, einen stadtbekannten Homosexuellentreff, wird die Affäre, selbst wenn ich Kommissar Halbey dazu bringen kann, seinen Eifer zu mäßigen, über kurz oder lang automatisch zur Kenntnisnahme an die Dienststelle von Kriminalrat Meisinger weitergeleitet. Von Stund an wird sich Kriminalrat Meisinger für Sie interessieren. Wie ein Schwein wird er herumwühlen. Egal, welche Ergebnisse er zutage fördert, sie werden bleibende Spuren in Ihrer Personalakte hinterlassen. Nun ist es aber so, dass der Reichsführer SS die Homosexualität mit besonderer Besessenheit verfolgt. Die Homosexuellen machen ihm Angst, er hasst sie. Er glaubt, ein Mann mit homosexueller Erbanlage könne mit seiner Krankheit Dutzende junger Männer anstecken und all diese jungen Leute seien dann für die Rasse verloren. Er denkt ferner, dass die Perversen geborene Lügner seien, die an ihre eigenen Lügen glaubten. Daraus ergibt sich nach seiner Meinung eine unverantwortliche Geisteshaltung, die sie unfähigzurTreue macht, sie veranlasst, über alles und jeden zu tratschen, und die letztlich zum Verrat führt. Diese potenzielle Gefahr, die vom Homosexuellen ausgeht, bedeutet für den Reichsführer, dass es keine medizinische Frage ist, nichts, was Ärzte heilen könnten, sondern eine politische Frage, um die sich die Sipo kümmern muss. Vor Kurzem hat er sich sogar begeistert über einen Vorschlag von SS-Untersturmführer Professor Eckhardt geäußert, einem unserer besten Rechtshistoriker, der Ihnen vermutlich bekannt ist. Eckhardt hat angeregt, den alten germanischen Brauch wiedereinzuführen, der darin bestand, die warmen Brüder in einem Torfmoor zu ertränken. Ich wäre der Erste, der zugäbe, dass das ein eher extremer – wenn auch unleugbar logischer – Standpunkt ist und dass nicht alle die Welt so schwarzweiß sehen. Der Führer selbst scheint dieser Frage eher gleichgültig gegenüberzustehen. Aber gerade weil er so wenig Interesse daran zeigt, hat der Reichsführer mit seinen ganz eigenen Ideen freie Hand, die aktuelle Politik zu bestimmen. Sollte sich Kriminalrat Meisinger also eine ungünstige Meinung von Ihnen bilden, könnten Sie eine Menge Unannehmlichkeiten bekommen, selbst wenn es ihm nicht gelänge, eine Verurteilung nach §§ 175 oder 175a StGB durchzusetzen. Sollte Kriminalrat Meisinger darauf bestehen, könnte man Sie sogar in U-Haft nehmen. Das täte mir sehr leid und Dr. Best ebenfalls.« Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, weil sich mein Bedürfnis wieder bemerkbar machte, heftiger als je zuvor, trotzdem reagierte ich schließlich: »Ich verstehe nicht recht, worauf Sie hinauswollen. Sind Sie im Begriff, mir ein Angebot zu machen?« – »Ein Angebot?« Thomas zog die Augenbrauen hoch. »Hören Sie, für wen halten Sie mich? Meinen Sie wirklich, der SD hätte es nötig, die Leute zu erpressen , um sie anzuwerben? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Nein«, fuhr er fort, und ein liebenswürdiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, »mich hat einfach derKameradschaftsgeist hergeführt, um Ihnen zu helfen, von Nationalsozialist zu Nationalsozialist. Natürlich können wir uns denken«, fügte er mit einem spöttischen Blick hinzu, »dass Professor Höhn seine Studenten vor dem SD warnt, daher wird er Sie auch nicht eben ermutigt haben, und das ist schade. Wissen Sie, dass er es war, der mich angeworben hat? Er ist undankbar geworden. Sollten Sie Ihre Meinung irgendwann ändern, würde uns das freuen. Falls Sie einmal einen positiveren Eindruck von unserer Arbeit
Weitere Kostenlose Bücher