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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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geliebten Objekts (ideeller Koitus) (Stufe 1) über das Anpressen des (entblößten) Gliedes an irgendeinen Körperteil des Partners (Stufe 4) und Stoßbewegungen zwischen den Knien, Schenkeln oder in der Achselhöhle (Stufe 6), um mit der Berührung des Penis mit der Zunge, der Einführung des Penis in den Mund oder in den Anus (Stufen 7, 8 und 9) abzuschließen. Jeder Deliktstufe war eine Strafe von zunehmender Strenge zugeordnet. Zweifellos war Klare ein ehemaliger Internatszögling; doch Höhn versicherte, der Innenminister und die Sicherheitspolizei nähmen seine Ideen durchaus ernst. Ich fand sie eher komisch. Eines Frühlingsabends – es war das Jahr 1937 – machte ich wieder einmal einen Spaziergang hinter dem Neuen See. Ich beobachtete die Schatten der Bäume, bis mein Blick dem eines jungen Mannes begegnete; ich nahm eine Zigarette heraus, bat ihn um Feuer, und als er mir das Feuerzeug hinhielt, beugte ich mich nicht über seine Hand, sondern schob sie beiseite, warf die Zigarette fort, fasste ihn am Nacken und küsste ihn auf die Lippen, wobei ich genüsslich seinen Atem kostete. Ich folgte ihm unter die Bäume, wir entfernten uns von den Wegen, wie jedes Mal pochte mir das Blut heftig in Hals und Schläfen, ein trockener Schleier hatte sich mir auf den Atem gelegt, ich knöpfte ihm die Hose auf, vergrub mein Gesicht in dem herben Geruch von Schweiß, männlicherHaut, Urin und Kölnischwasser, rieb es an seiner Haut, seinem Geschlecht und dort, wo der Haarwuchs dichter wird, leckte ihn, nahm ihn in den Mund und stieß ihn, als ich nicht mehr an mich halten konnte, gegen einen Baum, drehte mich, ohne ihn loszulassen, um und führte ihn in mich ein, bis sich die Zeit und der Schmerz auflösten. Als es vorbei war, entfernte er sich rasch, ohne ein Wort. Noch immer aufs Äußerste erregt, lehnte ich mich gegen den Baum, ordnete meine Kleidung, zündete eine Zigarette an und versuchte, das Zittern in den Beinen zu beherrschen. Als ich wieder gehen konnte, schlug ich die Richtung Landwehrkanal ein, überquerte ihn und ging wieder zur S-Bahn am Bahnhof Zoo. Ein grenzenloser Jubel beflügelte meine Schritte. Auf der Lichtensteinbrücke lehnte ein Mann am Geländer: Ich kannte ihn, wir hatten gemeinsame Bekannte, sein Name war Hans P. Er wirkte sehr blass und mitgenommen, er trug keine Krawatte; feiner Schweiß glänzte unter dem trostlosen Licht der Straßenlaternen auf seinem fast grünlichen Gesicht. Meine euphorische Stimmung verflog jäh. »Was machen Sie hier?«, rief ich unwirsch, wenig freundschaftlich. »Ach, Aue, Sie sind’s.« In seinem Lachen klang eine Spur von Hysterie mit. »Wollen Sie das wirklich wissen?« Die Begegnung nahm eine höchst ungewöhnliche Wendung; ich stand wie versteinert, schüttelte den Kopf. »Ich wollte springen«, erläuterte er und biss sich auf die Oberlippe, »aber ich habe mich nicht getraut. Ich habe sogar«, fuhr er fort, und dabei schlug er seine Jacke zurück und zeigte mir den Griff einer Pistole, »das hier mitgebracht.« – »Wo zum Teufel haben Sie die denn her?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme. »Mein Vater ist Offizier. Ich habe sie ihm geklaut. Sie ist geladen.« Unruhig schaute er mich an. »Sie würden mir nicht helfen?« Ich blickte mich um: niemand, so weit ich den Kanal überblicken konnte. Langsam streckte ich den Arm aus und zog ihm die Waffe aus dem Gürtel. Gebannt und schreckensstarr verfolgte ermeine Bewegungen. Ich untersuchte das Magazin: Es schien voll zu sein, mit einem trockenen Klicken ließ ich es wieder in den Griff schnappen. Dann packte ich ihn mit der linken Hand brutal am Hals, stieß ihn gegen das Geländer und schob ihm den Pistolenlauf gewaltsam zwischen die Lippen. »Los, mach ihn auf!«, bellte ich. »Mach den Mund auf!« Mein Herz klopfte zum Zerspringen, ich hatte das Gefühl zu schreien, während ich mich anstrengte, die Stimme zu senken. »Mach ihn auf!« Ich schob ihm den Lauf zwischen die Zähne. »Ist es das, was du willst? Na los, lutschen!« Hans P. verging vor Angst, ich roch plötzlich den scharfen Geruch von Urin, ich senkte den Blick: Er hatte sich in die Hosen gemacht. Augenblicklich verflüchtigte sich meine Wut so rätselhaft, wie sie gekommen war. Ich schob ihm die Pistole in den Gürtel zurück und tätschelte seine Wange. »Wird schon wieder. Geh nach Hause.« Damit ließ ich ihn stehen, überquerte die Brücke und wandte mich nach rechts, am Kanal entlang. Ein paar Meter weiter tauchten drei Schupos aus dem

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