Die Wohlgesinnten
gewinnen sollten, denke ich, dass Dr. Best sehr gern mit Ihnen darüber reden würde. Denken Sie darüber nach. Aber das hat nichts mit meinem Vorgehen heute Abend zu tun.« Ich muss gestehen, dass mir diese offene und direkte Haltung gefiel. Ich war sehr beeindruckt von der Geradlinigkeit, Tatkraft und ruhigen Überzeugung, die sich in Thomas’ Verhalten ausdrückte. Das passte überhaupt nicht in das Bild, das ich vom SD hatte. Doch er erhob sich bereits. »Sie verlassen das Kommissariat mit mir. Es wird keine Einwände geben. Ich teile Kommissar Halbey mit, Sie seien dort im Auftrag des SD gewesen, und damit ist es gut. Zu gegebener Zeit machen Sie eine entsprechende Aussage. Auf diese Weise geht alles seinen geordneten Gang.« Ich konnte nur noch an die Toilette denken; Thomas wartete nach beendeter Unterredung auf dem Korridor, während ich mich endlich erleichterte. Dabei hatte ich Zeit, ein wenig nachzudenken: Als ich wieder auf den Flur trat, war meine Entscheidung wohl schon gefallen. Draußen war es bereits hell. Auf der Kurfürstenstraße verabschiedete sich Thomas mit einem kräftigen Händedruck von mir. »Ich bin sicher, dass wir uns bald wiedersehen. Tschüs!« Und so entschloss ich mich, den Arsch noch voller Sperma, in den Sicherheitsdienst einzutreten.
Am Tag nach dem Abendessen mit Oberländer ging ich, sobald ich aufgewacht war, zu Hennicke, dem Chef des Gruppenstabs. »Ah, Obersturmführer Aue. Die Depeschen für Luzk sind fast fertig. Melden Sie sich beim Brigadeführer. Er hält sich im Gefängnis Brygidki auf. Untersturmführer Beck bringt Sie hin.« Dieser Beck war noch sehr jung, eine stattliche Erscheinung, schien aber irgendwie verstimmt, als unterdrücke er einen geheimen Zorn. Nachdem er mich begrüßt hatte, sprach er kaum mit mir. Die Menschen auf der Straße wirkten noch erregter als am Vortag, Gruppen bewaffneter Nationalisten patrouillierten, der Verkehr stockte. Man sah auch mehr deutsche Soldaten. »Ich muss am Bahnhof vorbeifahren und ein Paket abholen«, sagte Beck. »Das würde Sie nicht stören?« Sein Fahrer kannte sich schon gut aus; um der Menschenmenge auszuweichen, nahm er eine Abkürzung durch eine Querstraße; ein Stück weiter schlängelte sie sich einen kleinen Hang empor, an gutbürgerlichen Häusern eines ruhigen und begüterten Viertels entlang. »Eine schöne Stadt«, sagte ich. »Natürlich«, erwiderte Beck, »im Grunde ist es eine deutsche Stadt.« Ich schwieg. Am Bahnhof ließ er mich im Wagen warten und verschwand in der Menge. Straßenbahnen spuckten ihre Fahrgäste aus, nahmen neue auf, fuhren wieder ab. Unter den Bäumen eines kleinen Parks linker Hand hatten sich, gleichgültig gegenüber dem Getümmel auf den Straßen, einige Zigeunerfamilien niedergelassen, schmutzig, dunkelhäutig, in bunte Lumpen gekleidet. Andere hielten sich in der Nähe des Bahnhofs auf, ohne zu betteln; selbst die Kinder spielten nicht. Beck kam mit einem kleinen Paket zurück. Er folgte meinem Blick und bemerkte die Zigeuner. »Statt unsere Zeit mit den Juden zu vergeuden, sollten wir uns lieber mit denen da befassen«, stieß er zornig hervor. »Die sind viel gefährlicher. Wussten Sie, dass sie für die Roten arbeiten? Aber wir werden es ihnen schon heimzahlen.« Als wir die lange Straße entlangfuhren,die hinter dem Bahnhof wieder anstieg, ergriff er erneut das Wort: »Die Synagoge liegt hier gleich nebenan. Ich würde sie mir gern ansehen. Danach fahren wir zum Gefängnis.« Die Synagoge befand sich etwas zurückgesetzt in einer Seitengasse, links von der breiten Zufahrtsstraße, die ins Stadtzentrum führte. Vor dem Eingangstor standen zwei deutsche Soldaten Wache. Die baufällige Fassade sah nicht sehr vertrauenerweckend aus; nur ein Davidstern auf dem Giebeldreieck verriet die Bestimmung des Gebäudes; kein Jude war zu sehen. Ich folgte Beck durch die kleine Tür. Der große Innenraum war zwei Stockwerke hoch und oben von einer Galerie umgeben, vermutlich für die Frauen; schöne Malereien in lebhaften Farben schmückten die Wände, naiv, aber kraftvoll in ihrem Stil, ein Löwe von Juda, groß, von Judensternen, Papageien und Schwalben umgeben und teilweise von Einschüssen zernarbt. Statt Bänken gab es kleine Stühle, die fest mit Schulpulten verbunden waren. Lange betrachtete Beck die Malereien, dann ging er wieder hinaus. Auf der Straße vor dem Gefängnis herrschte dichtes Gedränge, ein ungeheurer Auflauf. Die Menschen schrien und kreischten, Frauen zerrissen
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