Die Wohlgesinnten
Nichts auf. »He, du da! Was tust du hier? Deine Papiere!« – »Ich bin Student. Ich gehe spazieren.« – »Klar doch, die Spaziergänge kennen wir. Und der da auf der Brücke? Ist er deine Freundin?« Ich zuckte die Achseln: »Ich kenne ihn nicht. Er machte einen seltsamen Eindruck und hat versucht, mich zu bedrohen.« Sie wechselten einen Blick, woraufhin zwei von ihnen in Richtung Brücke trabten. Ich versuchte, mich zu verdrücken, aber der dritte packte mich am Arm. Auf der Brücke gab es Getümmel, Schreie, dann Schüsse. Die beiden Schupos kamen zurück, einer von ihnen war leichenblass und hielt sich die Schulter, Blut lief zwischen seinen Fingern hindurch. »Verdammt, dieser Dreckskerl hat auf mich geschossen. Aber wir haben ihn erwischt.« Sein Kamerad warf mir einen bösartigen Blick zu: »Und du, du kommst mit!«
Sie brachten mich auf das Polizeirevier Derfflingerstraße,Ecke Kurfürstenstraße; dort nahm mir ein Polizist, schon halb im Schlaf, die Papiere ab, stellte mir ein paar Fragen und notierte die Antworten auf einem Formular; dann musste ich mich auf eine Bank setzen. Zwei Stunden später brachte man mich in das Abschnittskommando Tiergarten auf der anderen Straßenseite. Ich wurde in ein Zimmer geführt, wo, zusammengesunken hinter einem Tisch, ein schlecht rasierter Mann in einem tadellos gebügelten Anzug saß. Er war von der Kripo. »Sie sitzen ja schön in der Scheiße, junger Mann. Ein Mann hat auf einen Polizeibeamten geschossen und ist getötet worden. Wer war er? Kannten Sie ihn? Man hat Sie mit ihm auf der Brücke gesehen. Was haben Sie dort gemacht?« Auf meiner Bank hatte ich Zeit zum Nachdenken gehabt, ich hielt mich an eine einfache Version: Ich war Doktorand, vertrat mir gern nachts ein wenig die Beine, um über meine Dissertation nachzudenken, war von zu Hause, auf dem Prenzlauer Berg, losgegangen, um Unter den Linden und dann durch den Tiergarten spazieren zu gehen, wollte zur S-Bahn, um nach Hause zu fahren; auf der Brücke war ich von diesem Mann angesprochen worden, er hatte etwas gesagt, was ich nicht verstanden hatte, sein seltsames Aussehen hatte mir Angst gemacht, ich hatte geglaubt, er wolle mich bedrohen, hatte meinen Weg fortgesetzt, dann die Schupos getroffen, das war alles. Der Kripobeamte stellte mir die gleichen Fragen wie die Schupos: »Die Gegend ist ein bekannter Treff. Sind Sie sicher, dass es nicht doch Ihr Freund war? Ein Streit unter Liebesleuten? Die Beamten behaupten, dass Sie mit ihm gesprochen haben.« Ich bestritt es und wiederholte meine Geschichte: war Doktorand und so fort. So ging es eine ganze Weile weiter: Er stellte seine Fragen barsch, unerbittlich; mehrfach versuchte er, mich zu provozieren, aber ich ließ mich nicht einschüchtern, ich wusste, dass ich am besten fuhr, wenn ich Ruhe bewahrte. Ich begann, mich von einem Bedürfnis belästigt zu fühlen, und bat, auf die Toilette gehenzu dürfen. Er lachte: »Nein, erst danach«, und fuhr fort. Schließlich wedelte er mit der Hand. »Na gut, Herr Jurist. Setzen Sie sich draußen in den Flur. Wir machen später weiter.« Ich verließ das Büro und setzte mich in den Korridor. Abgesehen von zwei Schupos und einem Betrunkenen, der auf seiner Bank eingeschlafen war, war ich allein. Von Zeit zu Zeit flackerte eine Glühbirne. Alles war ordentlich, sauber, ruhig. Ich wartete.
Einige Stunden vergingen, ich muss eingenickt gewesen sein, das Morgengrauen ließ die Flurfenster allmählich hell werden, ein Mann trat ein. Er war geschmackvoll gekleidet, mit gestreiftem Anzug von elegantem Schnitt, gestärktem Hemdkragen, perlgrauer Strickkrawatte; am Revers trug er das Parteiabzeichen, unter den Arm eine schwarze Ledertasche gepresst, das pechschwarze dichte Haar hatte er straff und pomadeglänzend nach hinten gekämmt; und obwohl sein Gesicht verschlossen blieb, schienen seine Augen zu lächeln, als er mich ansah. Er flüsterte den wachhabenden Schupos ein paar Worte zu; einer von ihnen ging dem Besucher im Flur voraus, und sie verschwanden. Ein paar Minuten darauf kehrte der Schupo zurück und winkte mir mit seinem dicken Finger: »Du da. Mitkommen!« Ich stand auf, reckte mich und folgte ihm, mein Bedürfnis nur mühsam unterdrückend. Der Schupo führte mich wieder in das Zimmer, wo ich verhört worden war. Der Kripobeamte war verschwunden; auf seinem Platz saß jetzt der gut gekleidete junge Mann, einen Arm mit gestärkter Manschette auf den Tisch gestützt, den anderen lässig über die Rückenlehne
Weitere Kostenlose Bücher