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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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gefallen war, hatte die Rote Armee hier eine systematische Politik der verbrannten Erde praktiziert. Die Dörfer und Felder standen in Flammen, die Brunnen waren gesprengt oder zugeschüttet, die Straßen vermint, die Gebäude mit Sprengfallen versehen; in den Kolchosen trafen wir Vieh, Geflügel und Frauen an, aber keine Männer und Pferde; in Shitomir hatten sie alles in Brand gesetzt, was brennbar war: Glücklicherweise waren zwischen den rauchenden Ruinen noch zahlreiche Wohngebäude stehen geblieben. Die Stadt befand sich immer noch unter ungarischem Kommando, und Callsen kochte vor Wut: »Ihre Offiziere pflegen freundschaftlichen Umgang mit den Juden, sie essen sogar bei den Juden zu Abend!« Bohr, ein anderer Offizier, fügte hinzu: »Anscheinend sind einige ihrer Offiziere selber Juden. Können Sie sich das vorstellen? Deutschlands Verbündete! Ich wage nicht mehr, ihnen die Hand zu geben.« Die Einheimischen hatten uns freundlich empfangen, beklagten sich aber über den Vormarsch der Honvéd auf ukrainisches Gebiet: »Die Deutschen sind von jeher unsere Freunde«, sagten sie. »Die Magyaren wollen uns einfach annektieren.« Täglich entluden sich diese Spannungen in kleineren Zusammenstößen. Eine Pionierkompanie hatte zweiUngarn getötet; einer unserer Generale musste den Ungarn unsere Entschuldigung überbringen. Andererseits hinderten die Honvéd unsere örtliche Polizei an ihrer Arbeit, sodass sich das Vorkommando gezwungen sah, über den Gruppenstab beim Oberkommando der Heeresgruppe Süd zu protestieren. Am 15. Juli wurden die Ungarn endlich abgezogen, woraufhin sich das AOK 6 in Shitomir einrichtete, dicht gefolgt von unserem Kommando und dem Gruppenstab C. Unterdessen hatte man mich als Verbindungsoffizier nach Swjagel befohlen. Die Teilkommandos unter Callsen, Hans und Janssen hatten jeweils einen Sektor zugewiesen bekommen und schwärmten fächerartig aus, nachdem die Front vor Kiew zum Stillstand gekommen war; da unser Abschnitt im Süden an den des Ek 5 grenzte, mussten wir unsere Aktionen koordinieren, denn jedes Teilkommando operierte selbstständig. So kam es, dass ich mich mit Janssen zusammen in der Region zwischen Swjagel und Rowno, an der Grenze Galiziens, befand. Die kurzen Sommerunwetter schlugen immer häufiger in anhaltende Regengüsse um, die den Lössstaub, der fein wie Mehl war, in einen zähen, klebrig schwarzen Schlamm verwandelten, im Landserjargon »Buna« genannt. Endlose Sumpfflächen bildeten sich, in denen sich die Leichen und Pferdekadaver, die die vorrückende Front dort zurückgelassen hatte, langsam auflösten. Die Männer erlagen einem nicht enden wollenden Durchfall; Läuse tauchten auf; sogar die Lkws blieben im Schlamm stecken, und es wurde immer schwieriger, sich fortzubewegen. Zur Unterstützung der Sonderkommandos warben wir zahlreiche ukrainische Hilfswillige an, die von ehemaligen Angehörigen der afrikanischen Schutztruppe »Askaris« genannt wurden; ihren Sold bekamen sie von den örtlichen Gemeinden und aus dem beschlagnahmten jüdischen Vermögen. Viele von ihnen waren Bulbowizi, jene wolynischen Extremisten, von denen Oberländer gesprochen hatte (ihr Name leitete sich vonTaras Bulba her): Nach der Auflösung der OUN-B hatte man sie vor die Wahl »deutsche Uniform« oder »Lager« gestellt; die meisten waren in der ukrainischen Bevölkerung untergetaucht, einige aber hatten sich bei uns gemeldet. Höher im Norden, zwischen Pinsk, Mosyr und Olewsk, hatte die Wehrmacht dafür eine »Ukrainische Republik Polesien« ausrufen lassen, die von einem gewissen Taras Borowez regiert wurde, vormals Besitzer eines von den Bolschewiken verstaatlichten Steinbruchs in Kostopol; er jagte versprengte Einheiten der Roten Armee und polnische Partisanen, was auf unserer Seite Truppen freisetzte – im Gegenzug ließen wir ihn unbehelligt; doch die Einsatzgruppe befürchtete, er könne feindselige Elemente der OUN-B schützen, wir nannten sie scherzhaft die »OUN-Bolschewiken« im Gegensatz zu den »Menschewiken« von Melnyk. Wir zogen auch die Volksdeutschen heran, die wir in den Ortschaften antrafen, um sie als Bürgermeister und Polizisten einzusetzen. Die Juden wurden fast überall zur Zwangsarbeit eingesetzt; und wir gingen dazu über, die Juden, die nicht arbeitsfähig waren, systematisch zu erschießen. Doch auf der ukrainischen Seite des Sbrutschs scheiterten unsere Bemühungen häufig an der Apathie der einheimischen Bevölkerung, die uns die Absetzbewegungen der

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