Die Wohlgesinnten
wichtigsten Akten zu retten. Das Eisengeländer der Treppe war verbogen: Die Tasche meines Uniformrocks blieb an einem vorstehenden Metallstück hängen und zerriss. Oben brannten die Büros, ich musste umkehren. Im Flur schleppte ein Beamter einen Stapel Akten; ein weiterer gesellte sich zu uns, das Gesicht blass unter den schwarzen Rauch- oder Schmutzspuren: »Lassen Sie das! Der Westflügel steht in Flammen. Eine Mine hat das Dach durchschlagen.« Ich hatte den Angriff für beendet gehalten, doch dröhnten erneut Geschwader am Himmel; eine Reihe von Einschlägen näherte sich mit beängstigender Geschwindigkeit, wir hasteten in Richtung Keller, eine gewaltige Explosion hob mich auf und schleuderte mich die Treppe hinab. Ich musste einen Augenblick betäubt gewesen sein; als ich zu mir kam, blendete mich ein grelles weißes Licht,das sich als das einer kleinen Taschenlampe entpuppte; ich hörte Asbach rufen: »Sturmbannführer! Sturmbannführer!« – »Geht schon«, knurrte ich und stand auf. Im Schein des brennenden Eingangsbereichs untersuchte ich meinen Waffenrock: Die Metallspitze hatte den Stoff zerrissen, die Jacke war hin. »Das Ministerium brennt«, sagte eine andere Stimme. »Wir müssen hier raus.« Mit mehreren Männern räumte ich den Bunkereingang, so gut es ging, damit alle hinauskonnten. Die Sirenen heulten immer noch, aber die Flak war verstummt, die letzten Flugzeuge entfernten sich. Es war 20 Uhr 30, der Angriff hatte eine Stunde gedauert. Jemand zeigte uns die Eimer, und wir formierten uns zu einer Kette, um den Brand zu bekämpfen: Es war lächerlich, nach zwanzig Minuten hatten wir den Wasservorrat des Kellers aufgebraucht. Die Wasserhähne funktionierten nicht, die Bomben mussten die Leitungen zerstört haben; der Pförtner versuchte, die Feuerwehr zu holen, aber das Telefon war tot. Ich holte meinen Mantel aus dem Schutzraum und trat auf den Platz hinaus, um den Schaden zu begutachten. Von den klaffenden Fensterhöhlen abgesehen, schien der Ostflügel intakt zu sein, doch ein Teil des Westflügels war eingestürzt, und die benachbarten Fenster spien dichten schwarzen Rauch aus. Offenbar brannten auch unsere Diensträume. Asbach gesellte sich mit blutverschmiertem Gesicht zu mir. »Was haben Sie denn?«, fragte ich. »Nichts. Ein Ziegelstein.« Ich war noch immer benommen und hatte ein schmerzhaftes Dröhnen in den Ohren. Ich blickte in Richtung Tiergarten: Die Bäume, von mehreren Brandherden beleuchtet, waren zerschmettert, geborsten, umgestürzt, sie ähnelten den flandrischen Wäldern nach einem Sturmangriff, wie in den Büchern, die ich als Kind gelesen hatte. »Ich gehe nach Hause«, sagte Asbach, sein blutiges Gesicht war von Angst verzerrt. »Ich muss nach meiner Frau sehen.« – »Tun Sie das. Aber passen Sie auf einstürzende Mauern auf!« Zwei Löschzüge trafen ein und brachten sichin Stellung, doch es schien Probleme mit dem Wasser zu geben. Die Angestellten des Ministeriums kamen heraus; viele trugen Akten, die sie abseits auf den Gehsteig legten: Eine halbe Stunde lang half ich ihnen, Ordner und Papiere hinauszutragen; meine eigenen Diensträume waren vollkommen unzugänglich. Ein starker Wind war aufgekommen, und im Norden, Osten und ein Stück weiter im Süden, jenseits des Tiergartens, rötete sich der Nachthimmel. Ein Offizier kam vorbei und teilte uns mit, dass sich die Brände ausbreiteten, doch ich hatte den Eindruck, dass das Ministerium und die benachbarten Gebäude geschützt waren, auf der einen Seite durch den Spreebogen, auf der anderen durch den Tiergarten und den Königsplatz. Der Reichstag, düster und verschlossen, schien nichts abbekommen zu haben.
Ich zögerte. Ich hatte Hunger, aber ich konnte kaum damit rechnen, irgendwo etwas zu essen auftreiben zu können. Zu Hause hatte ich noch etwas, aber ich wusste nicht, ob es meine Wohnung überhaupt noch gab. Schließlich entschied ich mich, zum SS-Haus zu gehen und mich dort zur Verfügung zu halten. Ich lief die Friedensallee hinunter: Vor mir erhob sich das Brandenburger Tor, unversehrt unter seinem Tarnnetz. Doch dahinter schienen fast alle Gebäude Unter den Linden ein Raub der Flammen zu sein. Die Luft war dicht und heiß, voller Rauch und Staub, ich bekam Atembeschwerden. Aus den knisternden, in Flammen stehenden Gebäuden schossen Funkenregen hervor. Der Wind wurde immer heftiger. Auf der anderen Seite des Pariser Platzes brannte das Rüstungsministerium, von den Bombentreffern teilweise zum Einsturz
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