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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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pfiff durch die Fenster. Ich packte rasch einen Koffer, dann ging ich hinunter, um die Nachbarin, die sich von Zeit zu Zeit um meinen Haushalt kümmerte, zu bitten, hinaufzugehen und aufzuräumen; ich gab ihr Geld, damit sie noch am gleichen Tag die Tür und sobald wie möglich die Fenster reparieren ließ; sie versprach, mir im SS-Haus Bescheid zu geben, wenn alles wieder einigermaßen bewohnbar sei. Ich machte mich auf die Suche nach einem Hotel: Vor allem sehnte ich mich nach einem Bad. Am nächsten war das Hotel Eden , wo ich schon einmal einige Zeit gewohnt hatte. Ich hatte Glück, die ganze Budapester Straße schien ausradiert zu sein, aber das Eden hatte seine Türen noch geöffnet. Die Rezeption war belagert: Wohlhabende Ausgebombte und Offiziere stritten sich um die Zimmer. Nachdem ich meinen Dienstgrad, meine Auszeichnungen und meine Verwundung ins Feld geführt und den Zustand meiner Wohnung kräftig übertrieben hatte, erklärte sich der Geschäftsführer, der mich wiedererkannt hatte, bereit, mir ein Bett zu überlassen, allerdings unter der Bedingung, dass ich das Zimmer teilte. Ich steckte dem Etagenkellner einen Geldschein zu, damit er mir heißes Wasser hochbringen ließ: So konnte ich mich gegen zehn Uhr endlich in ein Bad gleiten lassen, daszwar eher lauwarm, aber dennoch köstlich war. Das Wasser wurde sofort schwarz, aber das war mir herzlich egal. Ich lag noch im Wasser, als mein Mitbewohner ins Zimmer geführt wurde. Überaus höflich entschuldigte er sich durch die geschlossene Badezimmertür und sagte, er werde unten warten, bis ich fertig sei. Sobald ich angezogen war, ging ich hinunter, um ihn zu holen: Er war ein sehr eleganter georgischer Aristokrat, der mit Gepäck aus seinem brennenden Hotel geflüchtet und hier gestrandet war.
    Meine Kameraden waren alle auf die Idee gekommen, sich im SS-Haus zu versammeln. Ich traf dort Piontek, unerschütterlich wie immer; Fräulein Praxa, in Schale geworfen, obwohl ihr Kleiderschrank in Flammen aufgegangen war; bei bester Laune Walser, weil sein Viertel verschont geblieben war, und, ein wenig angeschlagen, Isenbeck, dessen betagte Nachbarin während des Alarms neben ihm an einem Herzinfarkt gestorben war, ohne dass er es im Dunkeln bemerkt hatte. Weinrowski war schon vor einiger Zeit nach Oranienburg zurückgekehrt. Und Asbach hatte mir eine kurze Nachricht übermittelt: Seine Frau war verletzt worden, er wollte kommen, sobald er konnte. Ich schickte Piontek los, um ihm zu sagen, dass er sich, wenn nötig, einige Tage Zeit lassen konnte: Es bestand ohnehin keine Aussicht, die Arbeit in Kürze wieder aufnehmen zu können. Fräulein Praxa durfte nach Hause gehen, und ich machte mich mit Walser und Isenbeck auf den Weg ins Reichsministerium, um zu sehen, was noch zu retten war. Das Feuer war gelöscht, aber der Westflügel noch gesperrt; ein Feuerwehrmann begleitete uns durch die Trümmer. Der größte Teil der obersten Etage hatte zusammen mit dem Dachstuhl gebrannt: Von unseren Diensträumen war nur das Zimmer mit unserem Aktenschrank erhalten, der den Brand zwar überstanden hatte, dann aber von den Löschtrupps völlig unter Wasser gesetzt worden war. Durch eine eingestürzte Mauer sah man einen Teil des verwüstetenTiergartens; als ich mich hinausbeugte, sah ich, dass auch der Lehrter Bahnhof gelitten hatte, aber wegen des dichten Rauchs, der über der Stadt lag, konnte ich nicht weiter sehen; im Hintergrund zeichneten sich allerdings noch die Linien der abgebrannten Prachtstraßen ab. Mit meinen Kameraden machte ich mich daran, die geretteten Akten, eine Schreibmaschine und ein Telefon fortzuschaffen – eine heikle Angelegenheit, weil der Brand stellenweise Löcher in die Dielenbretter gefressen hatte und die Flure von Trümmerstücken blockiert wurden, die beiseitegeräumt werden mussten. Als Piontek wieder zu uns stieß, luden wir das Auto voll, und ich schickte ihn mit dem Ganzen zum SS-Haus. Dort erhielt ich vorübergehend einen Wandschrank, das war alles; Brandt war noch immer zu beschäftigt, um sich mit mir zu befassen. Da ich nichts mehr zu tun hatte, entließ ich Walser und Isenbeck, Piontek fuhr mich zum Hotel Eden und ich vereinbarte mit ihm, dass er mich am nächsten Morgen abholen sollte: Da er hier ohne Familie war, konnte er genauso gut in der Garage schlafen. Ich ging in die Bar hinab und bestellte einen Kognak. Mein Zimmergenosse, der Georgier, saß mit Filzhut und weißem Schal am Klavier und spielte Mozart mit einem

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