Die Wohlgesinnten
wenn ich nur begrenzte Erfahrung hatte, Frauenkörper missfielen mir nicht; es musste auch angenehm sein, sanft und weich, vielleicht konnte ich mich darin vergessen wie in einem Kopfkissen. Aber da war dieses Versprechen, und wenn ich sonst nichts war, so war ich doch wenigstens ein Mann, der seine Versprechen hielt. Es war noch nicht alles geregelt.
Der Sonntag war ein ruhiger Tag. Ich schlief lange, etwa bis neun – normalerweise stand ich um halb sechs auf –, und ging zum Frühstück hinunter. Ich setzte mich vor eines der großen Fenster und blätterte in einer alten französischen Pascal-Ausgabe, die ich in der Bibliothek gefunden hatte. Am späten Vormittag begleitete ich die Damen Speer und von Wrede auf einem Spaziergang durch den Park; Wrede selbst spielte Karten mit einem Industriellen, von dem man wusste, dass er sein Imperium durch eine geschickte Arisierungsstrategie aufgebaut hatte, dem jagdbesessenen General und Hettlage. Das Gras, noch feucht, glänzte, auf den Kieswegen und unbefestigten Alleen hatten sich Pfützen gebildet; die feuchte Luft war frisch, belebend, und unser Atem bildete kleine Wolken vor unseren Gesichtern. Der Himmel blieb eintönig grau. Mittags trank ich einen Kaffee mit Speer, der gerade aufgetaucht war. Eingehend erklärte er mir die Frage der Fremdarbeiter und die Probleme, die er mit Gauleiter Sauckel hatte; dann kam das Gespräch auf den Fall Ohlendorf, den Speer offenbar für einen Romantiker hielt. Meine wirtschaftlichen Kenntnisse waren zu lückenhaft, als dass ich Ohlendorfs Thesen hätte verteidigen können; Speer vertrat mit Nachdruck sein Prinzip der industriellen Selbstverantwortung . »Im Endeffekt gibt es nur ein überzeugendes Argument: Es funktioniert. Nach dem Krieg kann Dr. Ohlendorf nach Herzenslust reformieren, wenn dann noch jemand auf ihn hört; doch in der Zwischenzeit wollen wir, wie ich Ihnen gestern schon sagte, den Krieg gewinnen.«
Leland oder Mandelbrod sprachen mit mir, wenn ich mich in ihrer Nähe befand, über dies und das, doch offensichtlich wollte keiner von beiden mir etwas Besonderes sagen. Ich begann mich zu fragen, warum sie mich hatten kommen lassen: Doch sicherlich nicht, um mich in den Genuss von Fräulein Heides Charme zu bringen. Doch als ich am Spätnachmittag, im Auto der von Wredes, die mich nach Berlin mitnahmen, erneut über die Frage nachdachte, schien mir die Antwort klar zu sein: Sie wollten mich mit Speer zusammenbringen, ich sollte ihm näherkommen. Und das war ihnen anscheinend gelungen: Beim Aufbruch hatte sich Speer sehr herzlich von mir verabschiedet und mir versprochen, dass wir uns wiedersehen würden. Aber eine Frage verwirrte mich: Wem sollte das dienen? In wessen Interesse verschafften mir Herr Leland und Dr. Mandelbrod diesen Aufstieg ? Denn es handelte sich zweifellos um eine geplante Aufwertung meiner Person: Normalerweise verbringen Minister ihre Zeit nicht damit, auf diese Weise mit schlichten Majorsdienstgraden zu plaudern. Das beunruhigte mich, denn ich verfügte nicht über die nötigen Voraussetzungen, um die Beziehungen zwischen Speer, dem Reichsführer und meinen beiden Gönnern genauer zu bestimmen; offenbar zogen diese beiden die Fäden, aber zu welchem Zweck und zu wessen Vorteil? Ich war gerne bereit, das Spiel mitzuspielen; aber welches? War es nicht das der SS, dann war es sehr gefährlich. Ich musste mich unauffällig verhalten, auf der Hut sein, vermutlich war ich Teil eines Plans; wenn der schiefging, brauchte ich einen Ausweg.
Thomas kannte ich so gut, dass ich ihn gar nicht erst zu fragen brauchte, um zu wissen, was er mir raten würde: Sieh dich vor! Am Montagmorgen bat ich Brandt um eine Unterredung, er gewährte sie mir noch am selben Tag. Ich schilderte ihm mein Wochenende und berichtete von meinen Gesprächen mit Speer, deren wichtigste Punkte ich bereits ineinem Gedächtnisprotokoll festgehalten hatte, das ich ihm nun überreichte. Brandt schien das nicht zu missfallen. »Er hat Sie also um eine Besichtigung von Dora gebeten?« Das war der Codename der Einrichtung, über die Speer mit mir gesprochen hatte; ihre offizielle Bezeichnung war Mittelbau . »Sein Ministerium hat ein Gesuch eingereicht. Wir haben noch nicht geantwortet.« – »Und was halten Sie davon, Standartenführer?« – »Ich weiß nicht. Das muss der Reichsführer entscheiden. Auf jeden Fall haben Sie Recht daran getan, mich zu informieren.« Er fragte mich auch nach meiner Arbeit, und ich erläuterte ihm die ersten
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