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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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gebracht. Sekretärinnen, mit Luftschutz-Stahlhelmen bewehrt, machten sich in den Trümmern zu schaffen, um auch dort die Akten in Sicherheit zu bringen. Ein Mercedes mit Stander war an der Seite geparkt; inmitten der Angestellten erkannte ich Speer mit zerzaustem Haar und rußgeschwärztem Gesicht. Ich ging auf ihn zu, umihn zu begrüßen und ihm meine Hilfe anzubieten; als er mich sah, rief er mir etwas zu, was ich nicht verstand. »Sie brennen!«, wiederholte er. »Was?« Er kam zu mir gelaufen, nahm mich am Arm, drehte mich um und klopfte mir mit der flachen Hand den Rücken ab. Funken mussten meinen Überzieher in Brand gesteckt haben, ich hatte nichts gemerkt. Verwirrt dankte ich ihm und fragte, was ich tun könnte. »Gar nichts, wirklich. Ich glaube, wir haben alles rausgeschafft, was wir konnten. Mein eigenes Büro hat einen Volltreffer gekriegt. Da ist nichts mehr zu machen.« Ich sah mich um: Die französische Botschaft, die aufgelassene britische Botschaft, das Hotel Bristol , der Firmensitz der IG Farben – alles war schwer beschädigt oder brannte. Die eleganten Fassaden der wunderbaren Schinkel’schen Bauten neben dem Brandenburger Tor zeichneten sich gegen einen flammenden Hintergrund ab. »Wie entsetzlich«, murmelte ich. »Es ist schrecklich, so etwas zu sagen«, meinte Speer nachdenklich, »aber es ist besser, dass sie sich auf die Städte konzentrieren.« – »Wie meinen Sie das, Herr Minister?« – »Im Sommer, als sie über das Ruhrgebiet hergefallen sind, habe ich gezittert. Im August haben sie Schweinfurt angegriffen, wo unsere ganze Kugellagerindustrie konzentriert ist. Im Oktober noch einmal. Wir sind auf 67 Prozent unserer Produktion gefallen. Sie ahnen es vielleicht nicht, Sturmbannführer, aber ohne Kugellager kein Krieg. Wenn sie sich auf Schweinfurt konzentrieren, kapitulieren wir in zwei, höchstens drei Monaten. Hier« – er umfasste die Brände mit einer Handbewegung – »töten sie Menschen und vergeuden ihre Ressourcen an Kulturdenkmälern.« Kurz und trocken lachte er auf: »Wir wollten ohnehin alles neu gestalten. Ha!« Ich grüßte: »Wenn Sie keine Verwendung für mich haben, Herr Minister, mache ich mich auf den Weg. Aber ich wollte Ihnen noch sagen, dass Ihr Gesuch geprüft wird. Ich werde mich demnächst mit Ihnen in Verbindung setzen, um Ihnen mitzuteilen, wie darüberentschieden wurde.« Er gab mir die Hand: »Schön, schön. Guten Abend, Sturmbannführer.«
    Ich hatte mein Taschentuch in einen Wassereimer getaucht und hielt es mir beim Gehen vor den Mund, Schultern und Mütze hatte ich mit Wasser besprengt. In der Wilhelmstraße heulte der Wind zwischen den Ministerien und peitschte die Flammen, die aus den leeren Fensterhöhlen leckten. Überall hasteten Soldaten und Feuerwehrleute umher – ohne viel auszurichten. Das Auswärtige Amt schien schwer beschädigt zu sein, die Reichskanzlei, ein Stück weiter, war glimpflicher davongekommen. Ich ging auf einem Teppich aus zersplittertem Glas: In der ganzen Straße gab es keine einzige heile Fensterscheibe mehr. Auf dem Wilhelmplatz waren einige Leichen neben einen umgestürzten Lkw der Luftwaffe gelegt worden; verstörte Zivilisten kamen noch aus der U-Bahn-Station und blickten sich um, entsetzt und verloren; von Zeit zu Zeit war eine Detonation zu hören, eine Bombe mit Zeitzünder, oder auch das dumpfe Grollen, mit dem ein Gebäude zusammenstürzte. Ich schaute mir die Leichen an: ein Mann ohne Hose, den blutigen Hintern grotesk entblößt; eine Frau mit heilen Strümpfen, aber ohne Kopf. Ich fand es äußerst obszön, dass man sie so liegen ließ, aber niemand schien sich darum zu kümmern. Etwas weiter waren Wachen vor dem Reichsluftfahrtministerium postiert: Passanten riefen ihnen Schimpfworte zu oder machten sarkastische Bemerkungen über Göring, aber ohne stehen zu bleiben, es gab keinen Auflauf; ich wies meinen SD-Ausweis vor und passierte die Absperrung. Schließlich erreichte ich die Ecke der Prinz-Albrecht-Straße: Das SS-Haus hatte keine einzige Fensterscheibe mehr, schien aber ansonsten unbeschädigt zu sein. In der Eingangshalle fegten Mannschaften die Trümmer zusammen; Offiziere stellten Bretter oder Matratzen vor die leeren Fensterhöhlen. In einem Flur traf ich Brandt, der mit ruhiger müder Stimme Befehle erteilte:Er war vor allem damit beschäftigt, die Telefonverbindung wiederherstellen zu lassen. Ich grüßte und erstattete Bericht über die Zerstörung meiner Dienststelle. Er nickte: »Gut. Wir

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