Die Wohlgesinnten
Juden nicht meldete, was diese nutzten, um sich unerlaubt wegzubewegen und in den Wäldern des Nordens zu verstecken. Daraufhin gab Brigadeführer Rasch den Befehl, die Juden vor den Exekutionen öffentlich aufmarschieren zu lassen, um in den Augen der ukrainischen Landbevölkerung den Mythos von der politischen Macht der Juden zu zerstören. Allerdings schienen diese Maßnahmen recht wirkungslos zu verpuffen.
Eines Morgens schlug Janssen mir vor, an einer dieser Aktionen teilzunehmen. Früher oder später musste es dazu kommen, ich wusste es und hatte daran gedacht. Ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass ich Zweifel an unseren Methodenhegte: Mir wollte ihre Logik nicht recht einleuchten. Ich hatte mit jüdischen Häftlingen gesprochen; die hatten mir versichert, für sie sei alles Schlechte von jeher aus dem Osten gekommen und alles Gute aus dem Westen. 1918 hätten sie unsere Truppen als Befreier und Retter empfangen; die hätten sich sehr human verhalten; nach dem Abzug der Deutschen seien Petljuras Ukrainer zurückgekehrt und hätten sie, die Juden, abgeschlachtet. Die bolschewistischen Machthaber wiederum hätten das Volk verhungern lassen. Und jetzt würden wir sie töten. Und es war nicht zu leugnen, wir töteten viele Menschen. Ich empfand das als Unglück, selbst wenn es unvermeidlich und notwendig war. Doch dem Unglück haben wir uns zu stellen; wir müssen stets bereit sein, dem Unvermeidlichen und Notwendigen ins Gesicht zu sehen und vor den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, nicht die Augen zu verschließen; den Kopf in den Sand zu stecken ist niemals eine angemessene Reaktion. So nahm ich Janssens Angebot an. Die Aktion wurde von Untersturmführer Nagel, seinem Adjutanten, befehligt; ich brach mit ihm zusammen aus Swjagel auf. Tags zuvor hatte es geregnet, aber die Straße befand sich noch in gutem Zustand, wir fuhren langsam zwischen zwei hohen Mauern aus lichtüberflutetem Pflanzgrün dahin, die die Felder vor unserem Blick verbargen. Das Dorf, der Name ist mir entfallen, lag am Ufer eines breiten Flusses, einige Kilometer jenseits der früheren sowjetischen Grenze; es war ein größerer Flecken mit gemischter Einwohnerschaft, auf der einen Seite wohnten die galizischen Bauern, auf der anderen die Juden. Bei unserer Ankunft waren die Absperrungen schon gezogen worden. Nagel hatte mich auf einen Wald hinter dem Ort aufmerksam gemacht: »Da soll es stattfinden.« Er wirkte nervös, unsicher, offenbar hatte auch er bislang noch niemals getötet. Auf dem Dorfplatz brachten unsere Askaris die Juden zusammen, Männer fortgeschrittenen Alters und Jugendliche;sie führten sie durch die jüdischen Gassen heran, gelegentlich schlugen sie sie, auf dem Platz mussten sich die Juden hinhocken und wurden von Orpos bewacht. Auch einige Deutsche begleiteten diese Grüppchen, einer von ihnen, ein gewisser Gnauk, prügelte mit einer Reitpeitsche auf die Juden ein, um sie vorwärts zu treiben. Doch von den Schreien abgesehen ging alles relativ ruhig und geordnet vonstatten. Es gab keine Schaulustigen; von Zeit zu Zeit erschien ein Kind am Rande des Platzes, betrachtete die hockenden Juden und verschwand wieder. »Ich denke, es wird noch eine halbe Stunde dauern«, meinte Nagel. »Kann ich mich ein bisschen umschauen?«, fragte ich ihn. »Selbstverständlich, aber nehmen Sie Ihren Burschen mit.« Damit war Popp gemeint, der mir seit Lemberg nicht mehr von der Seite wich, sich um meine Unterkunft und den Kaffee kümmerte, meine Stiefel putzte und meine Uniformen in Schuss hielt; dabei hatte ich ihn nicht darum gebeten. Ich wandte mich in Richtung der kleinen galizischen Höfe, zum Fluss hin, Popp, das Gewehr umgehängt, folgte mir im Abstand von einigen Schritten. Die Häuser waren lang und niedrig, die Türen blieben fest verschlossen, ich sah niemanden in den Fenstern. Vor einem Holztor mit einem notdürftigen hellblauen Anstrich schnatterten laut etwa dreißig Gänse, sie warteten darauf, wieder reingelassen zu werden. Ich ließ die letzten Häuser hinter mir und ging zum Fluss hinab, doch das Ufer wurde sumpfig, ich stieg wieder ein bisschen höher hinauf; in einiger Entfernung erblickte ich den Wald. Die Luft war erfüllt vom durchdringenden, quälenden Gequake liebeskranker Frösche. Weiter oben, zwischen durchweichten Äckern, in deren Wasserpfützen sich das Sonnenlicht spiegelte, marschierte ein Dutzend weißer Gänse, fett und stolz, hintereinander vorbei, gefolgt von einem verschreckten Kalb. Ich hatte
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