Die Wohlgesinnten
Nagel. Einige Ukrainer fassten die toten Juden an Armen und Beinen und schwangen sie in die Grube; laut klatschend schlugen sie auf dem Wasser auf, das Blut, das in Strömen aus ihren zerschmetterten Köpfen floss, war über die Stiefel und grünen Uniformen der Ukrainer gespritzt. Zwei Männer mit Schaufeln traten vor und säuberten den Rand der Grube, schaufelten die blutdurchtränkte Erde mitsamt Brocken weißer Hirnmasse auf die Toten. Ich trat näher, um hinabzublicken: Die Leichen trieben im schlammigen Wasser, die einen auf dem Bauch, andere auf dem Rücken, nur noch ihre Nasen und Bärte ragten aus dem Wasser; das Blut aus ihren Schädeln breitete sich auf der Oberfläche wie ein dünner Ölfilm aus, von einem leuchtenden Rot, auch ihre weißen Hemden waren rot, und auf Haut und Bärten liefen dünne rote Rinnsale. Die zweite Gruppe wurde gebracht, die letzten fünf, die gegraben hatten, und fünf andere vom Waldrand, man ließ sie ebenfalls niederknien, mit dem Gesicht zur Grube und zu den schwimmendenLeichen ihrer Nachbarn; einer von ihnen wandte sich den Schützen zu, den Kopf erhoben, und blickte sie schweigend an. Nachdenklich betrachtete ich diese Ukrainer: Wie waren sie dazu gekommen? Die meisten von ihnen hatten gegen die Polen gekämpft, dann gegen die Sowjets, sicherlich hatten sie von einer besseren Zukunft geträumt, für sich und für ihre Kinder, und jetzt fanden sie sich in einem Wald wieder, in einer fremden Uniform und damit beschäftigt, Menschen umzubringen, die ihnen nichts getan hatten, ohne einen Grund, den sie hätten verstehen können. Wie mochten sie darüber denken? Trotzdem, wenn man es ihnen befahl, drückten sie ab, stießen die Leichen in die Grube, führten die nächsten herbei und protestierten nicht. Wie würden sie später über all das denken? Wieder hatten sie geschossen. Jetzt wurden Schmerzensschreie aus der Grube vernehmbar. »Verdammte Scheiße, da leben noch welche«, knurrte der Hauptscharführer. – »Worauf warten Sie? Erledigen Sie sie!«, schrie Nagel. Der Hauptscharführer ließ zwei Askaris vortreten und wieder in die Gruppe feuern. Die Schreie verstummten nicht. Sie feuerten ein drittes Mal. Neben ihnen wurde der Rand gesäubert. Ein Stück weiter wurden wieder zehn herangeführt. Ich bemerkte Popp: Er hatte eine Handvoll Erde aus dem großen Haufen neben der Grube genommen und betrachtete sie, zerrieb sie zwischen seinen dicken Fingern, roch an ihr und nahm sogar etwas davon in den Mund. »Was soll das, Popp?« Er trat zu mir: »Schauen Sie sich diese Erde an, Obersturmführer. Das ist gute Erde. Wäre nicht das Schlechteste, hier zu leben.« Die Juden knieten nieder. »Werfen Sie das weg, Popp!«, wies ich ihn an. »Man hat uns gesagt, wir können uns hier später niederlassen und kriegen eigene Höfe. Das ist eine gute Gegend, mehr sage ich doch gar nicht.« – »Halten Sie den Mund, Popp!« Die Askaris hatten wieder eine Salve abgefeuert. Abermals ertönten durchdringende Schreie aus der Grube, Stöhnen.»Bitte schön, Herren Deutsche! Bitte schön!« Der Hauptscharführer befahl den Gnadenschuss; aber die Schreie verstummten nicht, man hörte Männer dort unten im Wasser um sich schlagen, auch Nagel schrie: »Ihre Männer schießen jämmerlich! Sie sollen in das Loch runterklettern.« – »Aber, Untersturmführer …« – »Sie sollen runterklettern!« Der Hauptscharführer ließ den Befehl übersetzen. Aufgeregt begannen die Ukrainer zu palavern. »Was sagen sie?«, wollte Nagel wissen. »Sie wollen nicht runter, Herr Untersturmführer«, erläuterte der Dolmetscher. »Sie sagen, es ist nicht nötig, sie können vom Rand aus schießen.« Nagel hatte jetzt einen hochroten Kopf. »Sie sollen runter!« Der Hauptscharführer packte einen Askari beim Arm und zog ihn zum Graben; der Ukrainer wehrte sich. Alles schrie jetzt auf Ukrainisch und Deutsch durcheinander. Ein Stück weiter wartete die nächste Gruppe. Wütend warf der Askari sein Gewehr zu Boden und sprang in die Grube, rutschte aus und sackte zwischen den Toten und Sterbenden zusammen. Sein Kamerad kletterte hinter ihm hinab, wobei er sich am Rand der Grube festhielt, und half ihm beim Aufstehen. Der Ukrainer, mit Schlamm und Blut bedeckt, fluchte und spuckte aus. Der Hauptscharführer reichte ihm das Gewehr hinunter. Linker Hand hörte man mehrere Schüsse, Schreie; die Bewacher feuerten in den Wald: Einer der Juden hatte sich das Durcheinander zunutze gemacht und Reißaus genommen. »Haben Sie
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