Die Wohlgesinnten
dich das nie gefragt?« Noch immer reagierte sie nicht, und je länger sie ruhig blieb und schwieg, desto wütender wurde ich: »Oder hast du es nicht gewusst? Ist es das? Wie alle guten Deutschen. Niemand weiß etwas, außer denen, die diese schmutzige Arbeit verrichten. Wo sind sie denn hin, deine jüdischen Nachbarn aus Moabit?Hast du dich das nie gefragt? In den Osten? Sie sind zum Arbeiten in den Osten geschickt worden? Wohin denn? Wenn sechs oder sieben Millionen Juden im Osten arbeiten würden, hätte man ganze Städte errichten müssen! Hörst du nicht die BBC? Die weiß es! Alle wissen es, nur die guten Deutschen nicht, die nichts wissen wollen.« Ich war außer mir vor Wut, ich musste leichenblass geworden sein, sie schien aufmerksam zuzuhören und rührte sich nicht. »Und was, glaubst du, hat dein Mann in Jugoslawien gemacht? In der Waffen-SS? Im Partisanenkrieg? Du weißt, was das ist, der Partisanenkrieg, die Bandenbekämpfung? Die Partisanen bekommt man nur selten zu Gesicht, daher zerstört man die Umgebung, in der sie leben. Begreifst du, was das heißt? Kannst du dir deinen Hans vorstellen, wie er Frauen tötet, ihre Kinder vor ihren Augen tötet, ihre Häuser mit ihren Leichen darin verbrennt?« Jetzt reagierte sie zum ersten Mal: »Seien Sie still! Sie haben nicht das Recht!« – »Und warum habe ich nicht das Recht?«, sagte ich hohnlachend. »Glaubst du vielleicht, ich wäre besser? Du kommst mich pflegen, du denkst, ich bin ein freundlicher Mann, ein Doktor der Jurisprudenz, ein gut erzogener, kultivierter Mensch, eine gute Partie? Wir töten Menschen, verstehst du, das tun wir alle, dein Mann war ein Mörder, ich bin ein Mörder, und du bist die Komplizin von Mördern, du trägst und isst die Früchte unserer Arbeit.« Auch sie war blass geworden, aber in ihrem Gesicht drückte sich nur eine unendliche Traurigkeit aus: »Sie sind ein bedauernswerter Mensch.« – »Und warum, bitte schön? Mir gefällt, was ich bin. Ich werde befördert. Das ist natürlich nicht von Dauer. Wir können noch so viele töten, sie sind zu zahlreich, wir werden den Krieg verlieren. Statt deine Zeit damit zu vergeuden, den Engel der Barmherzigkeit zu spielen, solltest du dir lieber überlegen, wie du deine Haut retten kannst. Wenn ich du wäre, ginge ich nach Westen. Den Amis juckt der Schwanz nicht ganz so wie dem Iwan. Zumindestziehn sie Gummis drüber: Die tapferen Jungs haben Angst vor Krankheiten. Es sei denn, dir sind die stinkenden Mongolen lieber? Träumst du nachts davon?« Sie war noch immer blass, lächelte jetzt aber über diese Worte: »Sie fantasieren. Das ist das Fieber, Sie sollten sich einmal reden hören.« – »Ich höre mich sehr gut.« Ich keuchte, die Anstrengung hatte mich erschöpft. Sie feuchtete eine Kompresse an und kam zurück, um mir die Stirn abzuwischen. »Wenn ich dich bäte, dich auszuziehen, tätest du es? Für mich? Vor mir zu wichsen? Mir den Schwanz zu lutschen? Würdest du das tun?« – »Beruhigen Sie sich«, sagte sie. »Sonst steigt das Fieber wieder.« Es war nichts zu machen, diese Frau war nicht aus der Ruhe zu bringen. Ich schloss die Augen und überließ mich der Empfindung des kalten Wassers auf meiner Stirn. Sie schüttelte die Kissen auf und zog die Decke glatt. Ich atmete pfeifend, verspürte wieder den Wunsch, sie zu schlagen, sie wegen ihrer obszönen, unerträglichen Güte in den Bauch zu treten.
Am Abend bereitete sie die Spritze vor. Mühsam drehte ich mich auf den Bauch; als ich die Hosen hinunterzog, ging mir die Erinnerung an einige kräftige Jugendliche kurz durch den Kopf, schwand aber wieder, ich war zu müde. Sie zögerte, sie hatte noch nie eine Spritze gegeben, aber als sie die Nadel ansetzte, war ihre Hand fest und sicher. Mit einem kleinen, in Alkohol getauchten Wattebausch wischte sie mir nach der Injektion die Hinterbacke ab, ich fand es rührend, offenbar erinnerte sie sich, wie Krankenschwestern das machten. Auf der Seite liegend, steckte ich mir das Thermometer ins Rektum, um die Temperatur zu messen, ohne auf sie zu achten, aber auch ohne sie sonderlich provozieren zu wollen. Ich hatte wohl etwas über 40 Grad. Die Nacht begann wieder, die dritte dieser steinernen Ewigkeit, wieder schweifte ich fantasierend zwischen dem Gestrüpp und Geröll meiner Gedanken umher. Mitten in der Nacht begann ich fürchterlichzu schwitzen. Der nasse Pyjama klebte mir an der Haut, ich war mir dessen kaum bewusst, ich erinnere mich an Helenes Hand auf meiner
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