Die Wohlgesinnten
musst unbedingt wieder auf die Beine kommen: Es wird viel Arbeit geben.«
Doch ich hatte keine Lust, so rasch wieder auf die Beine zu kommen, ich konnte gut noch ein wenig vor mich hin vegetieren. Ich begann wieder Musik zu hören. Langsam kam ich zu Kräften, lernte mich wieder zu bewegen. Der SS-Arzt hatte mich einen Monat krankgeschrieben, die Zeit wollte ich vollständig in Anspruch nehmen, egal, was passierte. Anfang August kam Helene mich besuchen. Ich war noch schwach, konnte aber gehen, ich empfing sie in Pyjama und Morgenmantel und kochte ihr Tee. Es war ungewöhnlich heiß, kein Lufthauch kam durch die weit geöffneten Fenster. Helene war blass und sah so ratlos aus, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie erkundigte sich nach meinem Befinden, ich sah, dass sie weinte: »Es ist schrecklich«, sagte sie, »einfach schrecklich.« Ich war verlegen, wusste nicht, was ich sagen sollte. Mehrere ihrer Kollegen waren verhaftet worden,Menschen, mit denen sie seit Jahren zusammengearbeitet hatte. »Das ist doch nicht möglich, das muss ein Irrtum sein … Ich habe gehört, dass Ihr Freund Thomas mit der Untersuchung befasst ist, könnten Sie nicht mit ihm reden?« – »Das würde nichts nützen«, sagte ich behutsam, »Thomas tut nur seine Pflicht. Aber machen Sie sich nicht zu viele Sorgen um Ihre Freunde. Vielleicht sollen sie nur ein paar Fragen beantworten. Wenn sie unschuldig sind, werden sie bald wieder auf freiem Fuß sein.« Sie hatte aufgehört zu weinen und sich die Tränen abgetrocknet, aber ihr Gesicht blieb angespannt. »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Aber trotzdem muss man doch versuchen, ihnen zu helfen«, fuhr sie fort, »glauben Sie nicht?« Trotz meiner Erschöpfung verlor ich nicht die Geduld: »Sie müssen sich klarmachen, Helene, was für ein Klima jetzt herrscht. Diese Männer haben versucht, den Führer zu töten, sie wollten Deutschland verraten. Wenn Sie versuchen, sich einzumischen, geraten Sie auch noch in Verdacht. Sie können da nichts machen. Das liegt jetzt in der Hand Gottes.« – »Der Gestapo, meinen Sie«, sagte sie mit einer Aufwallung von Zorn, fing sich aber sofort wieder: »Entschuldigen Sie, ich bin … ich bin …« Ich berührte ihre Hand: »Schon gut.« Sie trank einen Schluck Tee, ich betrachtete sie. »Und Sie?«, fragte sie. »Gehen Sie wieder an Ihre … Arbeit?« Ich blickte zum Fenster hinaus, stumme Ruinen, ein blassblauer Himmel, vom allgegenwärtigen Rauch verschleiert. »Nicht gleich. Ich muss erst einmal wieder zu Kräften kommen.« Sie hielt ihre Tasse mit beiden Händen. »Was wird passieren?« Ich zuckte die Achseln: »Im Allgemeinen? Wir werden weiterkämpfen, die Menschen werden weitersterben, und wenn es eines Tages vorbei ist, werden die Überlebenden versuchen, all das zu vergessen.« Sie senkte den Kopf: »Ich vermisse die Tage, an denen wir schwimmen gegangen sind«, murmelte sie. »Wenn Sie wollen«, schlug ich ihr vor, »können wir damit fortfahren, wenn es mir bessergeht.« Jetzt sah sie zum Fenster hinaus: »Es gibt kein Schwimmbad mehr ihn Berlin«, sagte sie ruhig.
Im Fortgehen war sie in der Tür stehen geblieben und hatte mich noch einmal angesehen. Ich wollte etwas sagen, aber sie legte mir den Finger auf die Lippen: »Sagen Sie nichts.« Diesen Finger ließ sie etwas zu lange auf meinen Lippen liegen. Dann machte sie kehrt und lief rasch die Treppe hinab. Ich verstand nicht, was sie wollte, sie schien zu kreisen um etwas, dem sie nicht näher zu kommen, von dem sie sich aber auch nicht zu entfernen wagte. Diese Zwiespältigkeit missfiel mir, es wäre mir lieber gewesen, sie hätte offen ausgesprochen, was sie auf dem Herzen hatte; dann hätte ich die Wahl gehabt, hätte Ja oder Nein sagen können, und die Sache wäre erledigt gewesen. Aber vermutlich wusste sie es selbst nicht. Und die Dinge, von denen ich ihr während meiner Krise erzählt hatte, mochten ihr die Sache nicht erleichtern; kein Bad, keine Schwimmhalle konnten solche Worte abwaschen.
Ich hatte auch wieder zu lesen begonnen. Aber ich wäre völlig unfähig gewesen, ernsthafte Bücher, Literatur, zu lesen, zehnmal fing ich denselben Satz an, bevor ich merkte, dass ich ihn nicht verstanden hatte. So stieß ich in meinem Bücherregal auf die Bände der Marsabenteuer von E. R. Burroughs, die ich vom Dachboden in Moreaus Haus mitgenommen und sorgsam aufgestellt hatte, ohne sie jemals zu öffnen. Ich las diese drei Bücher in einem Zug; doch zu meinem Bedauern entdeckte
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