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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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trinken. Der Arzt hatte mir beim Harnlassen geholfen, nun aber setzten meine Koliken wieder ein; seit meinem Aufenthalt in Hohenlychen hatte ich in dieser Hinsicht jede Scheu verloren, mich entschuldigend, bat ich Frau Zempke, mir zu helfen, und diese schon etwas ältere Frau tat es ohne Widerwillen, als hätte sie es mit einem kleinen Kind zu tun. Schließlich ging sie, und ich schwebte in meinem Bett. Ich fühlte mich jetzt leicht, ruhig, die Spritze hatte mir etwas Erleichterung verschafft, aber ich hatte nicht mehr die geringste Energie; schon das Gewicht des Bettzeugs auf meinem Arm war zu viel, es hätte meine Kräfte überstiegen, ihn anzuheben. Aber es war mir egal, ich ließ mich fallen und döste in meinem Fieber und dem weichen Licht des Sommers ruhig dahin, der blaue Himmel füllte die Fensterhöhlen, heiter und leer. In Gedanken zog ich nicht nur das Bettzeug enger um mich, sondern die ganze Wohnung, ich wickelte sie mir um den Körper, sie war warm und tröstlich, wie eine Gebärmutter, die ich am liebsten niemals verlassen hätte, ein dämmriges, stummes, elastisches Paradies, das nur vom Rhythmus des Herzschlags und Blutstroms bewegt war, eine ungeheure organische Symphonie, ich brauchte nicht Frau Zempke, sondern eine Plazenta, ich schwamm in meinem Schweiß wie in Fruchtwasser und hätte es am liebsten gesehen, wenn es eine Geburt nicht gegeben hätte. Das Flammenschwert, das mich aus diesem Garten Eden vertrieb, war Thomas’ Stimme: »Hör mal! Du siehst aber gar nicht gut aus.« Auch er richtete mich auf und gab mir ein wenig zu trinken. »Du gehörst ins Krankenhaus«, sagte er wie die anderen.»Ich will nicht ins Krankenhaus«, wiederholte ich stur und einfältig. Er blickte sich um, trat auf den Balkon hinaus, kam zurück. »Was machst du bei Fliegeralarm? Du kannst doch auf keinen Fall in den Luftschutzkeller hinunter.« – »Ist mir egal.« – »Dann komm wenigstens zu mir. Ich wohn jetzt in Wannsee, da ist es ruhig. Meine Haushälterin wird sich um dich kümmern.« – »Nein.« Er zuckte die Achseln: »Wie du willst.« Ich musste schon wieder pinkeln und machte mir seine Anwesenheit dafür zunutze. Er wollte sich noch weiter unterhalten, aber ich antwortete nicht. Endlich ging er. Etwas später tauchte Frau Zempke wieder auf und machte sich an mir zu schaffen: In meiner trübseligen Stimmung ließ ich sie gleichgültig gewähren. Am Abend betrat Helene mein Zimmer. Sie trug einen kleinen Koffer, den sie an der Tür abstellte; langsam zog sie die Nadel aus ihrem Hut und schüttelte ihr dichtes blondes, leicht gewelltes Haar, ohne die Augen von mir abzuwenden. »Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?«, fragte ich sie grob. »Thomas hat mir Bescheid gesagt. Ich bin gekommen, um mich um Sie zu kümmern.« – »Ich will nicht, dass sich irgendwer um mich kümmert«, gab ich bissig zurück. »Frau Zempke genügt mir.« – »Frau Zempke hat Familie und kann nicht die ganze Zeit bei Ihnen sein. Ich bleibe hier, bis es Ihnen besser geht.« Böse starrte ich sie an: »Hauen Sie ab!« Sie setzte sich an mein Bett und ergriff meine Hand; ich wollte sie wegziehen, aber mir fehlte die Kraft. »Sie glühen ja!« Sie stand auf, zog ihre Jacke aus und hängte sie über einen Stuhl, dann feuchtete sie ein Handtuch an und legte es mir auf die Stirn. Ich ließ sie stumm gewähren. »Ich habe sowieso nicht mehr viel zu tun«, sagte sie, »ich kann mir die Zeit nehmen. Jemand muss bei Ihnen bleiben.« Ich sagte nichts. Der Tag neigte sich. Sie gab mir zu trinken, versuchte mir etwas kalte Brühe einzuflößen, setzte sich dann ans Fenster und schlug ein Buch auf. Der Sommerhimmel war verblasst, es war Abend. Ich betrachtetesie: Sie war wie eine Fremde. Seit meiner Abreise nach Ungarn vor mehr als drei Monaten hatte ich keinerlei Verbindung zu ihr gehabt, ich hatte ihr nicht einen einzigen Brief geschrieben und glaubte sie fast schon vergessen zu haben. Ich musterte ihr sanftes ernsthaftes Profil und sagte mir, dass es schön war; doch diese Schönheit hatte für mich keine Bedeutung und keinen Nutzen. Ich richtete die Augen an die Decke und ließ mich treiben, ich war erschöpft. Nach etwa einer Stunde sagte ich, ohne sie anzublicken: »Holen Sie Frau Zempke.« – »Weswegen?«, fragte sie und klappte das Buch zu. »Ich brauche etwas«, sagte ich. »Was denn? Ich bin hier, um Ihnen zu helfen.« Ich sah sie an: Die Ruhe ihrer braunen Augen war geradezu eine Beleidigung für mich. »Ich muss scheißen«,

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