Die Wohlgesinnten
es Männer, die beteiligt waren: zwei Kommilitonen und Jessen, mein einstiger Professor aus Kiel, der in den letzten Jahren offenbar Verbindung zu Goerdeler aufgenommen hatte. »Wir haben auch Beweise gegen Nebe gefunden, aber der hat sich verdünnisiert. Spurlos von der Bildfläche verschwunden. Klar doch, wenn das einem gelingt, dann ihm. Offenbar ist er etwas übergeschnappt: Wir haben bei ihm einen Film über eine Vergasung im Osten gefunden. Kannst du dir das vorstellen, da sitzt er abends und schaut sich dieses Zeug an?« Selten hatte ich Thomas so nervös gesehen. Ich bot ihm zu trinken und Zigaretten an, aber er ließ nicht viel verlauten; nur so viel glaubte ich zu verstehen, dass Schellenberg vor dem Attentat Verbindungen zu gewissen Oppositionskreisen gehabt hatte. Gleichzeitig zog Thomas wütend gegen die Verschwörer vom Leder: »Den Führer umbringen! Wie kann man sich bloß einbilden, dass das eine Lösung wäre? Der Verzicht auf den Oberbefehl über die Wehrmacht, einverstanden, schließlich ist er krank. Ich weiß nicht, vielleicht hätte man ihn auch zum Rücktritt bewegen können, wenn es denn wirklich nötig gewesen wäre, er wäre Präsident geblieben, hätte aber die Macht an den Reichsführer abgegeben … Schellenbergmeint, die Engländer wären bereit gewesen, mit dem Reichsführer zu verhandeln. Aber den Führer töten? Idiotisch, sie haben sich nicht klargemacht … Erst schwören sie ihm Treue, und dann versuchen sie, ihn umzubringen.« Das machte ihm anscheinend wirklich zu schaffen; ich fand allein den Gedanken schockierend, dass Schellenberg oder der Reichsführer daran gedacht hatten, den Führer kaltzustellen. Das oder ihn töten war für mich kein großer Unterschied, aber das sagte ich Thomas nicht, er war schon deprimiert genug.
Ohlendorf, den ich Ende des Monats traf, als ich wieder auszugehen begann, schien zu denken wie ich. Er war schon seit einiger Zeit sehr niedergeschlagen, aber jetzt traf ich ihn noch bedrückter an als Thomas. Er gestand mir, in der Nacht vor Jessens Hinrichtung, mit dem er trotz allem freundschaftlich verbunden geblieben war, kein Auge zugetan zu haben. »Ich musste unaufhörlich an seine Frau und seine Kinder denken. Ich werde versuchen, ihnen zu helfen, ich denke, ich werde ihnen einen Teil meines Gehalts abgeben.« Trotzdem war er der Meinung, Jessen habe die Todesstrafe verdient. Schon seit Jahren, so erklärte er mir, habe unser Professor alle Bindungen an den Nationalsozialismus abgebrochen. Sie hätten sich auch weiterhin getroffen, miteinander diskutiert, und Jessen habe sogar versucht, seinen ehemaligen Schüler für seine Sache zu gewinnen. Ohlendorf war mit ihm in vielen Punkten einig: »Keine Frage, die allgemeine Korruption in der Partei, der schleichende Verfall des formellen Rechts, die pluralistische Anarchie, die den Führerstaat ersetzt, all das ist unerträglich. Und die Maßnahmen gegen die Juden, diese Endlösung, war ein Fehler. Doch den Führer und die NSDAP zu stürzen ist undenkbar. Wir müssen die Partei säubern, die Kriegsteilnehmer von der Front fördern, die dieDinge realistisch sehen, die Führungsriege der Hitlerjugend berücksichtigen, vielleicht die einzigen Idealisten, die uns noch geblieben sind. Die Erneuerung der Partei nach dem Krieg muss von den Jungen kommen. Aber wir dürfen nicht zurück zum bürgerlichen Konservatismus der Berufssoldaten und preußischen Aristokraten. Dieser Schritt hat sie endgültig desavouiert. Das hat das Volk übrigens sehr wohl begriffen.« Das stimmte: Alle Berichte des SD zeigten, dass die Menschen und die einfachen Soldaten trotz ihrer Sorgen, ihrer Erschöpfung, ihrer Ängste, ihrer Entmutigung, ja sogar ihres Defätismus über den Verrat der Verschwörer entrüstet waren. Die Kriegsanstrengungen und die Aufrufe zur Sparsamkeit fanden darin zusätzliche Unterstützung; Goebbels, der wieder einmal seinen geliebten »totalen Krieg« beschwören durfte, geiferte, um die Stimmung anzuheizen, obwohl das eigentlich nicht nötig war. Die Lage aber verschlimmerte sich unaufhaltsam: Die Russen hatten Galizien zurückerobert und die Grenze von 1939 überschritten, Lublin war gefallen, schließlich verebbte die Angriffswelle in den Vororten von Warschau, wo das bolschewistische Oberkommando offensichtlich abwartete, bis wir den Anfang des Monats begonnenen polnischen Aufstand für sie niedergeschlagen hätten. »Wir spielen Stalins Spiel«, war Ohlendorfs Kommentar. »Wir sollten der AK
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