Die Wohlgesinnten
Insekten. Manchmal gesellte sich meine Mutter zu ihnen, und in meiner Angstglaubte ich schließlich, die beiden Clowns hätten Recht, ich sei verrückt geworden und hätte sie tatsächlich ermordet. Aber ich war nicht verrückt, das spürte ich, und die ganze Angelegenheit war nur ein gewaltiges Missverständnis. Als ich mich wieder ein wenig gefasst hatte, verfiel ich auf den Gedanken, mich mit Konrad Morgen in Verbindung zu setzen, dem unbestechlichen Richter, den ich in Lublin kennengelernt hatte. Er arbeitete in Oranienburg: Er lud mich sofort zu sich ein und empfing mich äußerst liebenswürdig. Zunächst berichtete er mir von seiner Tätigkeit: Nach Lublin hatte er eine Kommission in Auschwitz eingerichtet und Grabner, den Leiter der Politischen Abteilung, wegen zweitausend ungesetzlicher Morde angeklagt; Kaltenbrunner hatte Grabners Freilassung erwirkt; Morgen hatte ihn wieder festnehmen lassen und die Untersuchung fortgesetzt, auch gegen zahlreiche Komplizen und andere korrupte Untergebene; doch im Januar hatte ein krimineller Brandanschlag die Baracke zerstört, in der die Kommission alle Beweise der Anklage und einen Teil der Akten aufbewahrte, wodurch die Untersuchung erheblich erschwert wurde. Zurzeit habe er Höß selbst im Visier, verriet er mir im Vertrauen: »Ich bin überzeugt, dass er Staatseigentum unterschlagen und ungesetzliche Morde begangen hat; aber ich kann es schwer beweisen; Höß hat hochgestellte Gönner. Und Sie? Ich habe gehört, Sie haben Probleme.« Ich erklärte ihm meinen Fall. »Es genügt nicht, dass sie Sie anklagen«, sagte er nachdenklich, »sie müssen es auch beweisen. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass Sie die Wahrheit sagen: Ich kenne die kriminellen Elemente in der SS nur zu gut, und ich weiß, dass Sie nicht dazugehören. Wie dem auch sei, um Sie anzuklagen, müssen sie konkret beweisen, dass Sie sich zum Zeitpunkt des Mordes dort befunden haben, dass diese fatalen Kleidungsstücke tatsächlich Ihnen gehört haben. Wo sind die übrigens? Wenn sie in Frankreich geblieben sind, dürftedie Anklage auf tönernen Füßen stehen. Und dann sind die französischen Behörden, die das Rechtshilfeersuchen gestellt haben, jetzt in Feindeshand: Sie sollten einen Fachmann für internationales Recht bitten, diesen Aspekt der Angelegenheit zu prüfen.« Ich fühlte mich nach diesem Gespräch ein wenig ermutigt: Die krankhafte Verbohrtheit der beiden Ermittler hatte schon eine Art Verfolgungswahn bei mir hervorgerufen, ich vermochte wahr oder falsch nicht mehr auseinanderzuhalten, doch Morgens klarer juristischer Verstand half mir, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Am Ende dauerte diese Geschichte, wie alle juristischen Angelegenheiten, noch Monate. Ich werde euch die vielen Einzelheiten ersparen. Ich hatte mehrere Zusammentreffen mit Rabingen und den beiden Ermittlern; meine Schwester wurde in Pommern als Zeugin vernommen: Sie nahm sich in Acht und verriet nie, dass ich sie über den Mord informiert hatte, sondern erklärte, sie habe von einem Geschäftspartner Moreaus ein Telegramm aus Antibes erhalten. Clemens und Weser mussten zugeben, dass sie die fatalen Kleidungsstücke nie zu Gesicht bekommen hatten: All ihre Informationen stammten aus den Briefen der französischen Kriminalpolizei, die nicht gerichtsverwertbar waren, vor allem jetzt nicht mehr. Außerdem war der Mord in Frankreich verübt worden, eine Beschuldigung hätte allenfalls zu einer Auslieferung geführt, was natürlich unmöglich geworden war – obwohl mir ein eigentlich gar nicht unangenehmer Rechtsanwalt zu bedenken gab, dass ich vor einem SS-Gericht bei einem Verstoß gegen den Ehrenkodex die Todesstrafe zu gewärtigen hätte, ohne dass dazu das zivile Strafrecht bemüht werden müsste.
Diese Erwägungen schienen die Gunst, die mir der Reichsführerbewies, nicht zu beeinträchtigen. Bei einem seiner Blitzbesuche in Berlin ließ er mich in seinen Zug kommen, und nach einer Zeremonie, in deren Verlauf ich mit einem Dutzend anderer Offiziere, überwiegend von der Waffen-SS, meine neue Auszeichnung erhielt, lud er mich in sein Privatabteil ein, um sich mit mir über mein Memorandum zu unterhalten, dessen Ideen er für vernünftig, aber ergänzungsbedürftig hielt. »Da gibt es zum Beispiel noch die katholische Kirche. Wenn wir eine Steuer für Ledige erheben, wird sie sicherlich eine Ausnahmeregelung für ihre Geistlichen verlangen. Und wenn wir ihr die gewähren, ist das ein neuer
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