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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Schild der Kripo. Ich lief in mein Zimmer, zog meine Dienstwaffe aus dem Halfter in meinem Kleidersack, und ohne weiter nachzudenken, verließ ich das Haus über die Lieferantentreppe und durch die Küchentür und flüchtete mich in die Büsche hinter der Terrasse. Die Pistole nervös umklammernd, ging ich in einem kleinen Bogen um den Garten herum, wobei ich mich immer im Schutz der Bäume hielt, und schlich dann, von einem Dickicht gedeckt, näher, um das Haus zu beobachten. Ich sah eine Silhouette aus der Glastür des Salons treten und die Terrasse überqueren, um von der Balustrade aus, die Hände in den Manteltaschen, den Garten zu mustern. »Aue!«, rief er zweimal. »Aue!« Es war Weser, wie ich deutlich erkannte. Clemens’ hochgewachsene Gestalt zeichnete sich in der offenen Tür ab. In herrischem Ton bellte Weser meinen Namen noch ein drittes Mal, dann machte er kehrt und ging hinter Clemens ins Haus. Ich wartete. Nach einiger Zeit sah ich ihre Schatten, wie sie sich hinter den Fenstern des Zimmers meiner Schwester zu schaffen machten. Eine rasende Wut bemächtigte sich meiner, das Blut stieg mir ins Gesicht, ich lud die Pistole durch und war drauf und dran, ins Haus zu stürzen und diese beiden übelgesinnten Bluthunde erbarmungslos niederzuschießen. Nur mühsam beherrschte ich mich und blieb, wo ich war, die Finger, mit denen ich den Pistolenkolben umklammerte, waren weiß und zitterten. Schließlich hörte ich einen Motor. Ich wartete noch einen Augenblick, dann ging ich ins Haus zurück, blieb aber auf der Hut, für den Fall, dass mir die beiden Kriminalbeamten eine Falle gestellt hatten. Der Wagen war fort, das Haus leer. In meinem Zimmer schien nichts angerührt worden zu sein; in Unas Zimmer war der Sekretär zwar noch geschlossen, aber die Briefentwürfe waren daraus verschwunden. Niedergeschlagen setzte ich mich auf einen Stuhl, die Pistole achtlos aufdem Knie. Was suchten diese aufgebrachten, verbohrten Gestalten, die für jede Vernunft unzugänglich waren? Ich versuchte, mich an den Inhalt dieser Briefe zu erinnern, konnte aber keine Ordnung in meine Gedanken bringen. Sicher, sie enthielten einen Beweis dafür, dass ich zur Tatzeit in Antibes gewesen war. Aber das hatte keine Bedeutung mehr. Und die Zwillinge? War in den Briefen von den Zwillingen die Rede? Ich durchforstete mein Gedächtnis, mir schien, eher nicht, dass in ihnen nichts von den Zwillingen stand, obwohl das doch offenbar das Einzige war, was meiner Schwester wichtig war, weit mehr als das Schicksal unserer Mutter. Was bedeuteten ihr diese beiden Gören? Ich stand auf, legte die Pistole auf die Schreibplatte und begann den Sekretär erneut zu durchsuchen, dieses Mal langsam und methodisch, wie es Clemens und Weser getan haben mussten. Und da fand ich in einer kleinen Schublade, die ich bis dahin noch nicht bemerkt hatte, eine Fotografie, die die beiden Kleinen nackt und lächelnd mit dem Rücken zum Meer zeigte, augenscheinlich in der Nähe von Antibes aufgenommen. Ja, sagte ich mir, als ich mir das Foto genauer ansah, es ist möglich, es müssen tatsächlich ihre sein. Aber wer war dann der Vater? Bestimmt nicht Üxküll. Ich versuchte, mir meine Schwester schwanger vorzustellen, ihren dicken Bauch mit beiden Händen haltend, meine Schwester niederkommend, sich bäumend, schreiend – es war unmöglich. Nein, wenn es denn so gewesen war, dann hatten die Ärzte sie bestimmt aufgemacht, ihr die Kinder aus dem Bauch geholt, anders war es nicht möglich. Ich dachte an ihre Angst vor dem, was in ihr wuchs. »Ich habe immer Angst gehabt«, hatte sie mir einmal vor langer Zeit gesagt. Wo war das? Ich weiß es nicht mehr. Sie hatte mir von der fortwährenden Angst der Frauen erzählt, dieser alten Freundin, mit der sie leben, die ganze Zeit. Die Angst, ob sie jeden Monat ihre Blutung bekommen, die Angst davor, etwas in ihrem Inneren aufzunehmen, von dem oft egoistischen undbrutalen Geschlechtsteil des Mannes penetriert zu werden, die Angst vor der Schwerkraft, die das Fleisch in die Breite und die Brüste nach unten zieht. Gleiches galt sicherlich für die Angst, schwanger zu sein. Da wächst etwas, da wächst etwas im Bauch, ein Fremdkörper im eigenen Inneren, etwas, was sich bewegt und der Frau alle Kräfte entzieht, etwas, von dem sie weiß, dass es eines Tages herausmuss, auch wenn es sie tötet – wie grauenhaft. Trotz all der Männer, mit denen ich zusammen war, bin ich dem nicht näher gekommen, gelang es mir nicht, diese

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