Die Wohlgesinnten
Spitzenstreifen verziert war, oder wie sich ihre Hände auf dem Rücken zu schaffen machten, um den Verschluss ihres Büstenhalters zuzuhaken, in dem sie mit einer raschen Bewegung ihre Brüste zurechtrückte, erst die eine, dann die andere. Sie hätte diese Bewegungen vor meinen Augen, ohne falsche Scham, ausgeführt, diese alltäglichen Bewegungen, ohne Befangenheit, ohne Exhibitionismus, ganz so, wie sie sie ausführen musste, wenn sie allein war, nicht mechanisch, sondern aufmerksam, mit großem Vergnügen, und wenn sie schwarze Spitzenunterwäsche trug, so tat sie es nicht für ihren Mann oder den Geliebten des Abends, auch nicht für mich, sondern für sich selbst, zum eigenen Vergnügen, dem Vergnügen, diese Spitze und diese Seide auf ihrer Haut zu spüren, ihre Schönheit, auf diese Weise geschmückt, in ihrem großen Spiegel zu betrachten, sich genauso anzusehen, wie ich mich anblickte oder wie ich mich gerne angeblickt hätte: nicht mit einem narzisstischen Blick, auch nicht mit einem kritischen Blick, der nach Fehlern sucht, sondern mit einem Blick, der verzweifelt die ungreifbare Wirklichkeit dessen, was er sieht, zu erfassen sucht – dem Blick eines Malers gewissermaßen, aber ich bin kein Maler, auch kein Musiker. Und wenn sie in Wirklichkeit so vor mir gestanden hätte, fast nackt, hätte ich sie mit einem ähnlichen Blick betrachtet, dessen Hellsichtigkeit durch das Verlangen nur noch verstärkt worden wäre, ich hätte die Körnung ihrer Haut betrachtet, das Raster der Poren, die kleinen braunen Punkte der zufällig verteilten Leberflecken, Sternbilder, die noch auf ihren Namen warteten, die dicken Ströme der Adern, die ihre Ellenbogen umschlossen und in langen Verzweigungen in ihre Unterarme ausstrahlten, um auf dem Gelenk und Handrücken noch einmal anzuschwellen, bevor sie, zwischen den Knöcheln hindurchgeleitet, in den Fingern verschwanden – genauso wie auf meinen eigenen Männerarmen. Unsere Körper sind identisch, das wollte ichihr erklären: Sind die Männer nicht Rudimente der Frauen? Schließlich beginnt jeder Fötus als weibliche Form, bevor er sich differenziert, und die Körper der Männer behalten auf immer die Spuren dieses Anfangs, die nutzlosen Warzen von Brüsten, die nicht gewachsen sind, die Linie, die den Hodensack teilt und sich über den Damm bis zum After erstreckt und die Region bezeichnet, wo die Vulva sich geschlossen hat, um die Eierstöcke zu bergen, die sich, abgestiegen, in Hoden verwandelt haben, während die Klitoris maßlos zu wachsen begann. In Wirklichkeit fehlte mir nur eines, um eine Frau wie sie zu sein, eine wirkliche Frau, das stumme »e« der weiblichen Endung im Französischen, die unerhörte Möglichkeit, zu sagen und zu schreiben: » Je suis nu e, je suis aimé e, je suis désiré e.« Es ist dieses »e«, das die Frauen so furchtbar weiblich macht, ich litt unendlich, seiner beraubt zu sein, es war für mich ein schmerzlicher Verlust, noch weniger wettzumachen als der der Vagina, die ich an den Pforten der Existenz abgelegt hatte.
Hin und wieder legten sich diese inneren Stürme etwas, ich nahm mein Buch wieder zur Hand, ließ mich von den Flaubert’schen Seiten ruhig gefangen nehmen, dem Wald und dem niedrigen grauen Himmel zugewandt. Doch unvermeidlich geriet darüber das Buch auf meinen Knien wieder in Vergessenheit, während mir das Blut ins Gesicht stieg. Um Zeit zu gewinnen, nahm ich mir dann wieder einen der altfranzösischen Dichter vor, denen es nicht viel anders gegangen sein dürfte als mir: Weiß nicht, wann ich schlafe / wann ich wache, wenn’s mir nicht gesagt wird. Meine Schwester besaß eine alte Ausgabe von Tristan und Isolde des Thomas d’Angleterre, die ich durchblätterte, bis zu der Stelle, an der ich mit einem Schrecken von fast albtraumhafter Heftigkeit sah, dass sie die folgenden Verse mit Bleistift angestrichen hatte:
Wer tut, wonach er kein Verlangen trägt,
weil er nicht haben kann, was er begehrt,
der lässt, entgegen seinem innersten Verlangen,
von seinen Trieben sich bestimmen.
Und wieder war es, als hätte sich ihre lange Phantomhand unter meinen Arm geschoben, aus ihrem Schweizer Exil oder einfach von einem Punkt direkt hinter mir, um vor meinen Augen ihren Finger sanft unter diese Worte zu legen, unter diesen unwiderruflichen Satz, den ich nicht akzeptieren konnte, den ich mit der ganzen jämmerlichen Verbohrtheit zurückwies, deren ich noch fähig war.
Langsam schwankte ich so in einem langen, endlosen
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