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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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auf ein Tablett mit Besteck, zwei Gläsern und einer Flasche gutem Burgunder, einem Vosne-Romanée, glaube ich. Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück und stellte das Tablett aufs Bett. Im Schneidersitz betrachtete ich den leeren Platz auf dem Laken vor mir, auf der anderen Seite des Tabletts. Langsam nahm meine Schwester Gestalt an, mit einer überraschenden Körperlichkeit. Sie schlief zusammengerollt auf der Seite; ihre schweren Brüste und sogar ihr Bauch hingen ein wenig zur Seite, nach unten, die Haut der hochgereckten eckigen Hüfte war gespannt. Ihr Körper schlief nicht, abersie schlief, befriedigt, in ihrem Körper zusammengekauert. Etwas rotes Blut sickerte zwischen ihren Beinen hervor, ohne das Bett zu beflecken, und diese ganze schwere Menschlichkeit war mir wie ein Pfahl in die Augen gerammt, doch er blendete mich nicht, sondern öffnete vielmehr mein drittes Auge, dieses Scheitelauge, das mir ein russischer Scharfschütze eingepflanzt hatte. Ich entkorkte die Flasche und atmete den berauschenden Duft tief ein, dann füllte ich zwei Gläser. Ich trank und begann zu essen. Ich hatte einen Riesenhunger, verschlang alles, was da war, und leerte die Flasche Wein. Draußen neigte sich der Tag endgültig, im Zimmer wurde es dunkel. Ich räumte das Tablett fort, zündete Kerzen an und holte Zigaretten, die ich, auf dem Rücken liegend, rauchte, den Aschenbecher auf dem Bauch. Über mir hörte ich ein panisches Surren. Ohne mich zu bewegen, blickte ich mich suchend um und sah eine Fliege an der Decke. Eine Spinne ließ von ihr ab und verschwand in einem Spalt der Zierleiste. Die Fliege hatte sich in ihrem Netz verfangen und versuchte vergeblich, sich zu befreien. In diesem Augenblick spürte ich einen Hauch auf meinem Schwanz, einen Phantomfinger, eine Zungenspitze; sofort begann er anzuschwellen, sich zu entfalten. Ich stellte den Aschenbecher beiseite und malte mir aus, wie ihr Körper auf mich glitt, sich aufbäumte, um mich in sich aufzunehmen, während ihre Brüste in meinen Händen lagen, ihr schweres schwarzes Haar sich wie ein Vorhang um meinen Kopf schloss, ein Gesicht einrahmend, das von einem strahlenden glückseligen Lächeln erhellt wurde und zu mir sagte: »Du bist aus einem einzigen Grund auf dieser Welt: um mich zu ficken.« Das Surren der Fliege hielt an, allerdings in wachsenden Abständen, es hob plötzlich an und hörte dann langsam auf. Mir war, als spürte ich zwischen den Händen ihr Rückgrat, unmittelbar über den Lenden, ihr Mund über mir murmelte: »Mein Gott, oh, mein Gott.« Hinterher blickte ich wieder die Fliege an. Von ihr kam keinLaut mehr, keine Bewegung, das Gift hatte sie endlich erledigt. Ich wartete, dass die Spinne wieder hervorkam. Darüber muss ich eingeschlafen sein. Ein wütendes Surren weckte mich, ich öffnete die Augen. Die Spinne war neben der Fliege, die sich abkämpfte. Die Spinne zögerte, kam näher und wich zurück, verkroch sich schließlich wieder in ihre Spalte. Erneut stellte die Fliege ihre Bewegungen ein. Ich versuchte mir ihren stummen Schrecken vorzustellen, ihre in ihren Facettenaugen aufgesplitterte Furcht. Ab und an zeigte sich die Spinne wieder, berührte die Beute prüfend mit einem Bein, fügte dem Kokon noch einige Windungen hinzu und verzog sich wieder; ich beobachtete diesen endlosen Todeskampf bis zu dem Augenblick, in dem die Spinne, Stunden später, die tote oder betäubte Fliege unter die Zierleiste schleppte, um sie in aller Ruhe auszusaugen.
    Als es Tag war, zog ich mir, immer noch nackt, Schuhe an, um mir die Füße nicht schmutzig zu machen, und erkundete das kalte dunkle Haus. Es entfaltete sich um meinen elektrisierten Körper herum, die Kälte hatte ihn mit einer Gänsehaut überzogen, die genauso empfindlich war wie mein erigierter Schwanz oder mein kribbelnder After. Das war eine Einladung zu schlimmsten Ausschweifungen, zu denkbar absurden Spielen und Tabubrüchen, und da sich mir der zarte warme Körper, den ich begehrte, verweigerte, bediente ich mich seines Hauses, wie ich mich seiner bedient hätte, trieb ich es mit seinem Haus. Ich drang überall ein, ich legte mich in die Betten, ich streckte mich auf Tischen und Teppichen aus, ich rieb mir den Hintern an den Ecken von Möbelstücken, wichste in den Sesseln oder den geschlossenen Schränken, zwischen Kleidungsstücken, die nach Staub und Mottenkugeln rochen. So drang ich sogar bei Üxküll ein, zuerst mit einem Gefühl des Triumphes, dann aber der Demütigung. Und die

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