Die Wohlgesinnten
können!«, rief er mir noch zu, bevor er sich auf seinen stämmigen Beinen entfernte.
Wenig später ließ man uns in den Saal ganz hinten eintreten. Wir schoben eigenhändig die mit Karten bedeckten Tische beiseite, dann sollten wir aufgereiht an einer Wand stehen, die Füße auf dem nassen Teppich. Die beiden Generale, die sich eben noch lauthals über das Wasser unterhalten hatten, nahmen an einer Tür uns gegenüber Aufstellung; auf einem der Tische bereitete ein Feldwebel die Schatullen mit den Orden vor. Dann öffnete sich die Tür, und der Führer erschien. Wir nahmen alle gleichzeitig Haltung an, streckten die Arme in die Luft und brüllten unseren Gruß. Die beiden Generale standen auch in Grundstellung. Der Führer versuchte, mit dem Heben seines Armes zu antworten, aber der zitterte zu sehr. Dann trat er zögernd mit ruckartigen, unsicheren Schritten vor. Bormann, in eine braune Uniform gezwängt, trat aus dem Raum hinter ihm. Noch nie hatte ich den Führer aus solcher Nähe gesehen. Er trug eine einfache graue Uniform und eine Mütze; sein Gesicht wirkte gelb, verstört, aufgedunsen, die Augen waren starr und unbeweglich, dann begann er heftig zu blinzeln; ein Speicheltropfen perlte in seinem Mundwinkel. Als er schwankte, streckte Bormann seine behaarte Pranke aus und hielt ihn am Ellenbogen. Er stützte sich auf die Ecke eines Tisches und hielt eine kurze, ziemlich fahrige Rede, in der Friedrich der Große,ewiger Ruhm und die Juden vorkamen. Anschließend ging er zu Müller. Bormann folgte ihm wie ein Schatten; der Feldwebel hielt ihm ein geöffnetes Etui mit einem Orden hin. Langsam nahm der Führer ihn zwischen die Finger, drückte ihn Müller, ohne ihn festzustecken, auf die rechte Brusttasche, schüttelte ihm die Hand, wobei er ihn »Mein guter Müller, mein treuer Müller« nannte, und tätschelte ihm den Arm. Ich hielt den Kopf geradeaus gerichtet, beobachtete ihn aber aus den Augenwinkeln. Die Zeremonie wiederholte sich beim Nächsten: Müller brüllte Namen, Dienstgrad und Dienststellung, dann überreichte ihm der Führer den Orden. Thomas war danach an der Reihe. Je näher der Führer kam – ich stand fast am Ende der Reihe –, desto mehr richtete sich meine Aufmerksamkeit auf seine Nase. Ich hatte noch nie bemerkt, wie groß und unproportioniert diese Nase war. Im Profil nahm der kleine Schnurrbart die Aufmerksamkeit weniger in Anspruch, daher war die Nase deutlicher zu erkennen: Sie hatte eine dicke Wurzel und flache Flügel, ein kleiner Knick hob die Spitze an; das war eindeutig eine slawische oder böhmische Nase, fast mongolisch-ostisch. Ich weiß nicht, warum mich diese Einzelheit so faszinierte, ich fand sie fast skandalös. Der Führer näherte sich, und ich ließ ihn nicht aus den Augen. Dann stand er vor mir. Erstaunt stellte ich fest, dass mir seine Mütze kaum bis an die Augen reichte; dabei bin ich nicht besonders groß. Er murmelte sein Kompliment und suchte zitternd nach dem Orden. Sein ekliger übelriechender Atem gab mir den Rest: Das war wirklich mehr, als ich ertragen konnte. Da beugte ich mich vor und biss ihm aus Leibeskräften in seine Knollennase, bis Blut floss. Noch heute könnte ich euch nicht sagen, warum ich das getan habe: Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Der Führer stieß einen durchdringenden Schrei aus und sprang zurück in Bormanns Arme. Einen Augenblick lang rührte sich niemand. Dann stürzten sich mehrere Männermit aller Wucht auf mich. Ich wurde geschlagen und zu Boden gerissen; wie eine Kugel auf dem durchnässten Teppich zusammengerollt, versuchte ich mich, so gut es ging, vor den Stiefeltritten zu schützen. Alles schrie durcheinander, der Führer plärrte. Schließlich wurde ich wieder auf die Füße gestellt. Meine Mütze war heruntergefallen, ich wollte wenigstens meinen Schlips geraderücken, aber mir wurden die Arme eisern festgehalten. Bormann schob den Führer in Richtung seines Zimmers und brüllte: »Legt ihn um!« Thomas, der hinter der Menge stand, beobachtete mich schweigend, zugleich enttäuscht und spöttisch. Ich wurde zu einer Tür im hinteren Teil des Saals gezerrt. Dann griff Müller mit seiner groben, harten Stimme ein: »Warten Sie! Ich will ihn vorher verhören. Bringen Sie ihn in die Krypta.«
Ich weiß sehr wohl, dass Trevor-Roper kein Wort über diesen Zwischenfall hat verlauten lassen, ebenso wenig Bullock oder einer der anderen Historiker, die sich so eingehend mit den letzten Tagen des Führers beschäftigt haben.
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