Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
beiden Seiten des Portals und einem Giebeldreieck darüber; doch er war zunächst von uns bombardiert und dann, um reinen Tisch zu machen, vom NKWD in Brand gesteckt worden. Laut unseren Informanten hatte er früher als Heim für arme Jungfrauen gedient; 1920 hatten sich dort die sowjetischen Institutionen eingerichtet; seither hatte sein Name Angst und Schrecken verbreitet, im Garten hinter dem zweiten Flügel wurden die Erschießungen vorgenommen. Häfner schickte einen Zug Männer fort, Juden aufzutreiben, die das Gebäude so weit wie möglich säubern und instand setzen sollten; wir richteten unsere Büros und die Registratur ein, wo es möglich war, einige nahmen schon die Arbeit auf. Ich stieg in unser Hauptquartier hinab und verlangte nach Pionieren: Das Gebäude musste untersucht werden, wir mussten sichergehen, dass es nicht vermint war, man versprach mir ein Kommando für den folgenden Tag. Im Jungfrauenpalast trafen die ersten Juden unter Bewachung ein und begannen aufzuräumen; Häfner hatte außerdem Matratzen und Federbetten requirieren lassen, damit wir nicht auf der harten Erde schlafen mussten. Am nächsten Morgen, einem Samstag, hatte ich nicht einmal die Zeit gehabt, mich nach meinen Pionieren zu erkundigen, als eine gewaltige Explosion das Stadtzentrum erschütterte und auch die wenigen noch intakten Fensterscheiben zerstörte, die uns geblieben waren. Rasch verbreitete sich die Nachricht, die Zitadelle der Festung Nowo-Petscherskaja sei in die Luft gejagt worden, wobei unter anderem der Kommandeur der Artilleriedivisionund sein Generalstabschef ums Leben gekommen seien. Alle sprachen von Sabotage und Zeitzündern; die Wehrmacht blieb vorsichtig und schloss die Möglichkeit eines durch falsch gelagerte Munition verursachten Unfalls nicht aus. Häfner und Janssen begannen Juden zu verhaften, während ich mich bemühte, ukrainische Informanten anzuwerben. Es gestaltete sich schwierig, wir wussten nichts über sie: Die Männer, die sich bereit erklärten, hätten ebenso gut russische Agenten sein können. Die verhafteten Juden wurden in einem Kino auf dem Kreschtschatik festgesetzt; hastig überprüfte ich die Informationen, die mich von allen Seiten erreichten: Alles schien darauf hinzudeuten, dass die Sowjets die Stadt sorgfältig vermint hatten; unsere Pioniere waren noch immer nicht eingetroffen. Nach einer massiven Beschwerde schickte man uns endlich drei; nach zwei Stunden zogen sie wieder ab, ohne etwas gefunden zu haben. Nachts färbte die Unruhe auf meinen Schlaf ab und infizierte meine Träume: Ich wurde von einem heftigen Stuhldrang gepackt und lief auf die Toilette, die Scheiße quoll dickflüssig heraus, ein ununterbrochener Strom, der die Schüssel rasch füllte, er stieg, während ich unablässig weiter schiss, die Scheiße berührte bereits die Unterseite meiner Schenkel, bedeckte Hintern und Sack, aber mein Darm entleerte sich unablässig weiter. Panisch fragte ich mich, wie ich die ganze Scheiße entsorgen sollte, aber ich vermochte nicht aufzuhören, ihr scharfer, gemeiner, ekelerregender Geschmack füllte mir den Mund, drehte mir den Magen um. Ich erwachte mit dem Gefühl zu ersticken, mein Mund war ausgetrocknet, pelzig und bitter. Der Morgen graute, ich kletterte auf die Steilküste und betrachtete den Sonnenaufgang über dem Fluss, den verbogenen Brückengerüsten, der Stadt und der Ebene dahinter. Zu meinen Füßen machte sich der Dnepr breit, träge, das Wasser mit grünen Schaumspiralen bedeckt; in der Mitte, unter der gesprengten Eisenbahnbrücke, zogen sich, von Schilfgürteln und See-rosenumgeben, einige kleine Inseln mit ein paar herrenlosen Fischerbooten hin; ein Sturmboot der Wehrmacht überquerte den Fluss; drüben, ein Stück weiter, halb auf dem Uferstreifen gestrandet und auf der Seite liegend, rostete ein Schiff vor sich hin. Die Bäume verdeckten die Lawra , ich konnte nur die goldene Kuppel ihres Glockenturms erkennen, die das kupferfarbene Licht der aufgehenden Sonne gedämpft zurückwarf. Ich kehrte zum Palast zurück: Sonntag oder nicht, wir hatten alle Hände voll zu tun; zu allem Überfluss traf auch noch das Vorkommando des Gruppenstabs ein. Es war Obersturmführer Dr. Krieger, dem Leiter V, unterstellt und tauchte am späten Vormittag auf; zu Kriegers Begleitung gehörten Obersturmführer Breun, ein gewisser Braun und der Hauptmann der Schutzpolizei Krumme, der unsere Orpos befehligte; Thomas war in Shitomir geblieben, er sollte einige Tage später mit

Weitere Kostenlose Bücher