Die Wohlgesinnten
entdeckte einer der Männer im Kellergeschoss Brandflaschen. Ein Scharführer der Waffen-SS, der als Pionier gedient hatte, ging nachschauen: Es handelte sich um rund sechzig mit Benzin gefüllte Flaschen, »Molotow-Cocktails« nannten die Finnen sie seit ihrem Winterkrieg; offenbar waren sie hier nur gelagert, aber man konnte ja nie wissen, ein Fachmann musste her. Es herrschte allgemeine Panik. Janssen brüllte Befehle und traktierte unsere Arbeitsjuden mit der Reitpeitsche; Häfner, wie gewohnt mit der Miene des Tüchtigen, erteilte nutzlose Befehle, um Gelassenheit zudemonstrieren. Blobel beriet sich rasch mit Dr. Krieger und befahl die Evakuierung des Gebäudes. Ein Ausweichquartier war nicht vorgesehen, und niemand wusste nun, wohin; während die Fahrzeuge in aller Eile beladen wurden, nahm ich Verbindung mit dem Stab des Armeekorps auf; aber die Offiziere dort waren völlig überlastet und erklärten, ich müsse selber sehen, wie ich zurechtkäme. Ich stieß wieder durch lodernde Brände und heilloses Durcheinander zum Palast durch. Wehrmachtspioniere versuchten, mit Feuerspritzen zu löschen, doch die Flammen gewannen an Boden. Da fiel mir das große Dynamo-Stadion ein; es lag weit von den Bränden entfernt, unweit der Lawra , auf der Höhe von Petschersk, und es war kaum damit zu rechnen, dass die Rote Armee sich die Mühe gemacht hatte, es zu verminen. Blobel billigte meinen Vorschlag und dirigierte die Autos und beladenen Lastwagen dorthin; die Offiziere richteten sich in den verlassenen Büros und den Umkleidekabinen ein, die noch nach Schweiß und Desinfektionsmitteln stanken; die Männer nahmen die Tribünen in Beschlag, während die Juden sich, gut bewacht, auf den Rasen setzen mussten. Während wir abladen ließen, unsere Akten, Kisten und Schreibmaschinen ordneten, während die Fernmelder ihre Apparate installierten, begab sich Blobel nun seinerseits zum Armeekorps; bei seiner Rückkehr befahl er uns, alles wieder abzubauen und aufzuladen: Die Wehrmacht überließ uns Unterkünfte in einer talwärts gelegenen ehemaligen Zarenresidenz. Alles musste wieder auf den Fahrzeugen verstaut werden; der Tag verstrich mit diesen Umzügen. Nur Radetzky schien der ganze Trubel nichts auszumachen, allen, die sich bei ihm beklagten, schrie er hochmütig zu: »Krieg ist Krieg und Schnaps ist Schnaps.« Am Abend konnte ich mich endlich mit meinen melnykistischen Mitarbeitern um die Informationen kümmern. Es galt, ihnen so viel wie möglich über die Pläne der Roten zu entnehmen; offenbar waren die Explosionenkoordiniert, wir mussten also die Saboteure fassen und ihren Rostoptschin entlarven. Nach Informationen der Abwehr kam ein gewisser Friedmann in Betracht, ein berühmter NKWD-Agent, Chef eines Spionage- und Sabotagenetzes, das vor dem Rückzug der Roten Armee eingerichtet worden war; die Pioniere behaupteten, es habe sich einfach um vorher ausgelegte Sprengsätze mit Zeitzündern gehandelt. Das Stadtzentrum glich einem Inferno. Immer noch Explosionen, der ganze Kreschtschatik, vom Duma-Platz bis zum Tolstoi-Platz, wurde jetzt von Bränden verwüstet; auf Dachböden gelagerte Molotow-Cocktails zersprangen unter der Einwirkung der Hitze, das eingedickte Benzin floss die Treppen hinunter und gab den Flammen neue Nahrung, die nach und nach auf die Parallelstraßen übergriffen, die Puschkin-Straße auf der einen Seite, dann die Mehring-, die Karl-Marx-Straße, die Engels-Straße bis zur Straße der Oktoberrevolution zu Füßen unseres Palastes. Die beiden Kaufhäuser ZUM waren von der in Schrecken versetzten Bevölkerung gestürmt worden; die Feldgendarmerie nahm viele Plünderer fest und wollte sie uns übergeben, andere waren in den Flammen umgekommen. Alle Bewohner des Stadtzentrums waren auf der Flucht, sie schleppten schwere Bündel und schoben Kinderwagen, die mit Radios, Teppichen und Haushaltsgegenständen beladen waren, während die Säuglinge auf den Armen ihrer Mütter aus vollem Halse schrien. In der Menge befanden sich auch zahlreiche deutsche Soldaten, die auf ungeordneter Flucht waren. Von Zeit zu Zeit stürzte mit großem Getöse im Innern eines Gebäudes das Dachgebälk ein. Stellenweise konnte ich nur mit einem nassen Taschentuch vor dem Mund atmen, ich wurde von Hustenkrämpfen geschüttelt und spuckte dicken Schleim aus.
Am nächsten Morgen traf der Gruppenstab mit dem Gros unseres Kommandos ein, unter Befehl von Kuno Callsen. Inzwischen hatten Pioniere endlich unseren Palast untersuchtund die
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