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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Kisten mit den Molotow-Cocktails entfernt, sodass wir das Gebäude rechtzeitig wieder beziehen konnten, um den Gruppenstab in Empfang zu nehmen. Auch ein Vorkommando des HSSPF traf ein und nahm die Zarenresidenz in Beschlag, die wir gerade verlassen hatten; sie brachten zwei Orpo-Bataillone mit, für uns eine beträchtliche Verstärkung. Die Wehrmacht begann die Gebäude des Stadtzentrums zu sprengen, um die Brände einzudämmen. Im Lenin-Museum hatte man vier Tonnen Sprengstoff gefunden, der kurz vor der Explosion stand, doch den Pionieren war es gelungen, ihn zu entschärfen, und sie hatten ihn nun am Eingang gestapelt. Generalmajor Kurt Eberhard, der neue Stadtkommandant, hielt fast fortlaufend Besprechungen ab, an denen Vertreter der Gruppe und des Kommandos teilnehmen mussten. Da Kehrigs Nachfolger noch immer nicht eingetroffen war, war ich de facto bis auf Weiteres zum Leiter III des Kommandos avanciert, und Blobel forderte mich häufig auf, ihn zu begleiten, oder schickte mich als seinen Stellvertreter, wenn er zu viel zu tun hatte; der Gruppenstab sprach sich auch stündlich mit den Leuten des HSSPF ab, und Jeckeln selbst wurde am Abend oder am folgenden Tag erwartet. Am Morgen ging die Wehrmacht noch von zivilen Saboteuren aus und bat uns, ihr zu helfen, sie zu suchen und auszuschalten; im Laufe des Tages fand die Abwehr dann einen Plan der Roten Armee, auf dem fast sechzig Objekte verzeichnet waren, die vor dem sowjetischen Abzug zur Zerstörung vorbereitet werden sollten. Wir schickten Ingenieure zur Inspektion hin, und die Information schien sich zu bestätigen. Mehr als vierzig Objekte warteten noch auf die Sprengung, gelegentlich waren die Zünder mit einem drahtlosen Auslöser versehen; die Pioniere entschärften sie mit fliegenden Fingern, so rasch wie möglich. Die Wehrmacht wollte radikale Maßnahmen ergreifen; auch in der Einsatzgruppe wurde über Maßnahmen beraten.
    Am Freitag nahm die Sicherheitspolizei ihre Tätigkeit auf. Mit Hilfe der Informationen, die ich erhielt, wurden im Laufe des Tages eintausendsechshundert Juden und Kommunisten festgesetzt. Vogt hatte in den Dulags, dem Lager für die Juden, dem Lager für Zivilisten und in der Stadt sieben Verhörgruppen eingerichtet, die die Masse der Gefangenen sieben und die gefährlichen Elemente aussondern sollten. Davon berichtete ich bei einer der Besprechungen mit Eberhard; er schüttelte den Kopf, aber die Armee war noch nicht zufrieden. Die Sabotageaktionen dauerten an: Ein junger Jude hatte versucht, einen der Feuerwehrschläuche zu zerschneiden, die man zur Löschwasserbeschaffung in den Dnepr gehängt hatte; das Sonderkommando erschoss ihn ebenso wie eine Zigeunerbande, die dabei erwischt wurde, wie sie ein etwas abgelegenes Stadtviertel in der Nähe einer orthodoxen Kirche durchstöberte. Auf Befehl von Blobel liquidierte einer unserer Züge die Geisteskranken des Pawlow-Krankenhauses, weil befürchtet wurde, sie könnten entweichen und zur allgemeinen Unordnung beitragen. Jeckeln war eingetroffen; am Nachmittag leitete er eine große Besprechung in der Ortskommandantur, an der General Eberhard und seine Offiziere vom Stab der 6. Armee sowie Offiziere der Einsatzgruppe, darunter Dr. Rasch, und Offiziere des Sonderkommandos teilnahmen. Rasch schien sich nicht sehr wohl in seiner Haut zu fühlen: Er redete nicht, klopfte mit seinem Füller auf den Tisch, ließ seinen leeren Blick über die Gesichter um ihn herum wandern. Jeckeln dagegen barst vor Energie. Er hielt eine kurze Rede über die Sabotageakte, die Gefahr, die durch die große Zahl von Juden in der Stadt heraufbeschworen wurde, und die Notwendigkeit, die erforderlichen Vergeltungs- und Vorbeugemaßnahmen mit aller Härte durchzuführen. Sturmbannführer Hennicke, Leiter III der Einsatzgruppe, hielt ein Statistikreferat: Aus seinen Unterlagen ging hervor, dass sich in Kiew ungefähr hundertfünfzigtausendJuden aufhalten mussten, Ortsansässige oder Flüchtlinge aus dem Westen der Ukraine. Jeckeln schlug vor, zunächst einmal fünfzigtausend davon zu erschießen; Eberhard stimmte lebhaft zu und sicherte die logistische Unterstützung der 6. Armee zu. Jeckeln wandte sich nun an uns: »Meine Herren, ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, mir einen Plan auszuarbeiten.« Blobel sprang auf: »Zu Befehl, Obergruppenführer!« Rasch ergriff zum ersten Mal das Wort: »Auf Standartenführer Blobel können Sie sich hundertprozentig verlassen.« Der ironische Unterton in seinen Worten

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