Die Wohlgesinnten
unangenehm.« – »Ist denn das, was wir vorbereiten, angenehm? Ich denke, die Zivilbevölkerung wird bald ganz andere Gründe zur Beunruhigung haben.« – »Das ist was anderes. Ganz im Gegenteil, sie werden begeistert sein, ihre Juden loszuwerden.« Ich zuckte die Achseln: »Nein, soweit ich weiß, waren wir das nicht. Im Augenblick sind wir ziemlich beschäftigt, wir haben anderes zu tun. Es entspricht auch nicht ganz unseren Methoden.«
Am Sonntag hängten wir überall in der Stadt die Plakate auf. Die Juden wurden aufgefordert, sich am folgenden Morgen mit fünfzig Kilogramm Gepäck pro Person vor ihrem Friedhof Melnik-Straße einzufinden, von wo aus sie in verschiedenen Gebieten der Ukraine als Siedler untergebracht würden. Ich zweifelte am Erfolg dieser List: Wirwaren nicht mehr in Luzk, ich wusste, dass Gerüchte über das Schicksal, das die Juden erwartete, der Front vorausgeeilt waren; je weiter wir nach Osten vordrangen, desto weniger Juden fanden wir, sie flohen jetzt mit der Roten Armee vor uns, während sie anfangs unserer Ankunft vertrauensvoll entgegengesehen hatten. Andererseits bewahrten die Bolschewiken, worauf mich Hennicke aufmerksam machte, ein bemerkenswertes Stillschweigen über unsere Exekutionen. In ihren Radiosendungen warfen sie uns übertriebene, himmelschreiende Gräueltaten vor, aber ohne die Juden jemals zu erwähnen; unsere Experten meinten, sie fürchteten vielleicht, die heilige Einheit des sowjetischen Volkes zu erschüttern. Von unseren Informanten wussten wir, dass zahlreiche Juden zur Evakuierung ins Hinterland ausgewählt wurden, aber sie wurden offenbar nach den gleichen Kriterien bestimmt wie die Ukrainer und die Russen, das heißt nach ihrer Eigenschaft als Ingenieure, Ärzte, Parteimitglieder oder Facharbeiter; die meisten Juden, die flohen, waren jedoch auf sich selbst gestellt. »Das ist merkwürdig«, fügte Hennicke hinzu. »Wenn die Juden wirklich die Kommunistische Partei beherrschen würden, müssten sie eigentlich größere Anstrengungen unternehmen, um ihre Glaubensbrüder zu retten.« – »Sie sind eben gerissen«, meinte Dr. von Scheven, ein anderer Offizier der Gruppe. »Sie wollen unserer Propaganda keine Angriffsfläche bieten, indem sie ihre Leute zu offen bevorzugen. Außerdem muss Stalin auf den großrussischen Nationalismus bauen. Um an der Macht zu bleiben, opfern sie ihre armen Vettern.« – »Damit haben Sie zweifellos Recht«, sagte Hennicke. Ich musste innerlich lächeln, aber nicht ohne Bitterkeit: Wie im Mittelalter argumentierten wir mit Syllogismen, wobei uns der eine jeweils zum Beweis des anderen diente. Und diese Beweise führten uns auf einen Weg, der keine Umkehr zuließ.
Die Große Aktion begann am Montag, dem 29. September,am Morgen von Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungs- oder Bußtag. Blobel hatte uns tags zuvor informiert: »Sie werden büßen, büßen.« Ich war in meinem Büro im Palast geblieben, um einen Bericht zu verfassen. Callsen erschien auf der Türschwelle: »Kommen Sie nicht mit? Sie wissen doch, der Brigadeführer hat die Teilnahme aller Offiziere befohlen.« – »Ich weiß. Ich beende nur noch diesen Bericht, dann komme ich.« – »Wie Sie wollen.« Er verschwand, und ich arbeitete weiter. Eine Stunde später stand ich auf, nahm Schiffchen und Handschuhe und suchte meinen Fahrer. Draußen war es kalt, ich überlegte, ob ich zurückgehen und mir einen Pullover überziehen sollte, verzichtete dann aber darauf. Der Himmel war bedeckt, der Herbst schon weit vorgerückt, bald würde es Winter sein. Ich fuhr an den noch rauchenden Ruinen des Kreschtschatik vorbei, dann den Boulevard Schewtschenko wieder hoch. In langen Kolonnen, familienweise zusammengefasst, marschierten die Juden ruhig nach Westen, sie trugen Ballen oder Rucksäcke. Größtenteils wirkten sie sehr ärmlich, vermutlich waren es Flüchtlinge; die Männer und Jungen trugen alle die Ballonmützen des sowjetischen Proletariats, hin und wieder sah man aber auch einen Schlapphut. Einige kamen mit Karren, die von abgemagerten Kleppern gezogen wurden und mit Alten und Gepäck beladen waren. Ich ließ meinen Fahrer einen Umweg machen, ich wollte mehr sehen; er bog nach links ein und fuhr, an der Universität vorbei, hinunter, dann bog er in die Saksaganskaja ein in Richtung Bahnhof. Überall traten die Juden mit ihren Habseligkeiten aus den Häusern und mischten sich unter den Menschenstrom, der friedlich murmelnd durch die Straßen floss. Man sah fast
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